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- Erzählt von
- Erhard Sommerbrodt
- Oberstleutnant a.D.
- geb. am 28.12.1867 in Breslau, gest. am 28.8.1956 in Wiesbaden
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- Der Becher köstlichen Lebens geht langsam zur Neige!
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- Sagten es nicht die Jahreszahlen, so deuten es kleine Schwankungen an im sonst so guten Befinden.
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- Klopft das Alter leise an? Sind es Abnutzungserscheinungen, die nach den Sorgen und Aufregungen der letzten dreizehn Jahre ein
gutes Recht hätten merkbar zu werden?
- Mir ist es immer gut ergangen. Ein gütiges Geschick stand über mir. Beglückende Sonne schien auch durch Wolken auf mich.
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- Aus schönster Zeit im Elternhaus kam ich in mir zusagende, erfolgreiche militärische Berufstätigkeit und fand alles erträumte und
erhoffte Glück in der innigen Gemeinschaft mit der besten Frau und den herzensguten Kindern.
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- Im Weltkrieg konnte ich in Kommandeurstellung, an den entscheidenden Fronten im Westen und Osten meine Truppen von Sieg
zu Sieg führen, die mir treu ergeben war und es auch in und nach den Revolutionstagen, bis heute, geblieben ist.
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- Was mich erfüllte und was mich bewegte, möge noch einmal wiederkehren.
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- Erinnerung bringe die teuren, geliebten Menschen zurück, die in der Reihe der Eltern und Voreltern vor mir waren. Sie sollen uns
nahe bleiben - auch in späteren Generationen. Ihr geistiges Erbe ist dann bewusst empfangener Segen.
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- Erhard Sommerbrodt, Wiesbaden, im Herbst 1937
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- Berichte und Erinnerungen und meine Führung durch unser Familienarchiv.
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- I. Die Eltern, Geschwister und Vorfahren meiner Mutter
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- II. Die Eltern, Geschwister und Vorfahren meines Vaters
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- III. Meine Eltern und wir Geschwister
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- Das Familienarchiv ergänzt die nachfolgenden Aufzeichnungen durch Dokumente, Briefe, Bücher, Bilder, Drucksachen und
enthält Angaben über die 1871 ausgestorbene Berliner Vetternlinie.
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- Teil I. Die Eltern und Geschwister meiner Mutter und deren Vorfahren.
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- An mein Elternhaus habe ich die liebsten Erinnerungen. Sie knüpfen sich vielfach an den meinen Eltern gehörenden Besitz in
Breslau auf der Neuen Taschenstraße Nr.6. Es war ein Familienhaus, unter dessen Dach verwandtschaftliches Verstehen in
herzlicher und aufrichtiger Harmonie anzutreffen war. Im Parterre wohnte Großpapa Girardelli, der Vater meiner Mutter, im ersten
und halben zweiten meine Eltern, im anderen Teil des zweiten Obergeschosses meine Großtante Luise, die Witwe des Bruders
Otto meines Großvaters Heinrich Sommerbrodt und im dritten Stockwerk Großmama Minna Sommerbrodt.
- Am liebsten war ich und Bruder Heinz im Parterre beim Großpapa Girardelli. Ihm standen wir schon in unseren jungen Jahren am
nächsten. Unsere Besuche bei Großtante Luise und Großmama waren meistens nur Artigkeitsbesuche auf Veranlassung unserer
Eltern, wenigstens in unseren Schul- und Jünglingsjahren. Großmama erzählte uns stets nur aus ihrer Vergangenheit und die
fromme Tante Luise nur von des Jenseits himmlischen Freuden. Hierfür waren unsere Interessen aber noch nicht erwacht.
Großpapa dagegen lebte mit uns ganz in der Gegenwart. Wir konnten ihm von unseren Interessen und kleinen Erlebnissen und
Streichen erzählen und er plauderte gern über seine weiten Reisen zu Wasser und zu Lande am Mittelmeer. Eine fremde Welt
erschloss sich uns, die wir auch einmal schauen wollten. Und wenn er auf die Pfaffen und Juden zu schimpften kam, da kamen
wir uns sehr gehoben und erwachsen vor. Immer war er heiter und aufgeschlossen. In unbeschreiblicher Güte und Herzlichkeit
nahm er uns stets bei sich auf.
- Und wenn er sich die sonnige Adria und den tiefblauen Himmel seiner schönen italienischen Heimat herbeisehnte oder ein
italienisches Lied zu pfeifen begann, dann war das für Heinz die erwünschte Gelegenheit, aus seinem Repertoire italienischer
Volkslieder auszupacken und von mir unterstützt, solange zu singen, bis jeder von uns eine blanke Reichsmark, der Einheitstaxe
Großpapas, in Händen hielt.
- Trotz solcher für uns hohen "Nebeneinnahmen" zum kleinen Taschengeld blieben wir sparsam. Meistens wurde damit der
Bestand unseres "Zoologischen Gartens" aufgefüllt, der im Holzschuppen im Hof bei uns angelegt war. Wir hielten uns Karnickel,
Meerschweinchen und viele Vogelarten. Auch selbstgefangene Fledermäuse fristeten ihr Dasein bei uns. Den Rest unserer
Gesamteinnahmen mussten wir zur Anschaffung von Schulutensilien verwenden und leisteten uns kleine Aufmerksamkeiten zu den
Geburtstagen der Eltern oder zu Weihnachten. Wir hatten Ausgabenbücher zu führen, die Mama öfters kontrollierte.
- Die Wohnung von Großpapa war behaglich eingerichtet. Die vielen, aus früheren Zeiten noch vorhandenen Möbelstücke
bestanden aus schwerem, glatt polierten, sehr schönem gemasertem Mahagoni - oder Nussbaumholz und stammten aus Triest und
Wien. Bevor Großpapa als Witwer zu uns auf die Taschenstraße zog, hatte er mit seiner Familie im ersten Stockwerk eines
Hauses am Ring Nr.2 gewohnt, das als das höchste, alte Giebelhaus der Stadt Breslau bekannt ist und heute unter Denkmalschutz
steht.
- Großpapa war Freigeist. Er glaubte nicht an "Heiligenablass und Reliquienschwindel" und hasste die Pfaffen und Juden gleich
stark. Religiöse Gespräche oder gar Belehrungen und Bekehrungen, wie solche die fromme Tante Luise an den Sonntagen bei uns
einzuflechten versuchte, wies er stets ab. So hatte er, entsprechend seiner weltanschaulichen Einstellung auch nichts einzuwenden
gehabt, dass unsere Mutter nach ihrer Verlobung von ihrer katholischen Religion zur evangelischen übertrat, ein Schritt, der durch
die immer aufrecht erhalten gewesene, stolze Familientradition der Sommerbrodt geboten war.
- Mama hat die Abkehr von ihrem ersten Glauben zwar niemals bereut, hat aber in allen späteren Lebensjahren geklagt, dass die
evangelische Kirche allzu prosaisch und nüchtern auf sie einwirke und dass sie, im Gegensatz zur katholischen Kirche sich gar
nicht ihrer Mitglieder annähme und ihnen helfe. Den ihre Sinne immer gefangen gehaltenen Eindruck ihrer Firmung im herrlich
schönen Stephansdom in Wien und der nachfolgenden ersten Kommunion hat sie bis in ihr hohes Alter bewahrt gehabt. Aber
auch Reminiszenzen an die "Gottesmutter Maria als Fürsprecherin und Helferin" sind niemals wieder ganz zu verdrängen gewesen.
Als Papa und später Walter bereits bedrohlich erkrankt waren, als ich und Heinz im Felde standen, hat sie im Dom zu Breslau,
dann auch in Frankfurt/Main, Maria Kerzen geweiht, damit sie helfen möge.
- Es hat sie auch mächtig bewegt, dass in ihren letzten Lebensmonat ein Franziskanerpriester ungerufen bei ihr erschien, um sie
vorsorglich in den Schoß der allein selig machenden Kirche wieder zurückzuführen. Beim ersten Besuch dieses als bestrickend
liebenswürdig und würdevoll geschilderten Mannes, war Mama zu sehr überrascht und bestürzt gewesen, um ihm überhaupt
irgend welche bestimmte Antwort geben zu können. Sie vermochte sich ihm nicht anders zu entziehen, als dass sie ihm sagte,
dass sie sich zu nichts entschließen könne. Bei seinem zweiten und letzten Versuch, Mamas Seele zu retten, ließ sie sich durch die
einschmeichelnden Worte des Pfaffen aber nicht verwirren. Sie sagte ihm sogleich, dass sie in denjenigen Himmel Wolle, in dem
schon ihr Mann sei.
- Erfüllt von hoher Befriedigung und Freude über diese schöne Lösung hat Mama mir und Heinz wenige Tage später das alles
erzählt In ihrem einsamen, langen Krankheitslager ein sie gewiss sehr bewegender Vorfall.
- An allen Sonn- und Feiertagen war Großpapa Girardelli stets, Großmama Sommerbrodt meistens und die Großtante Luise
zuweilen Gast der Eltern zum Mittagessen und dann gewöhnlich auch zur Vesper und zum Abend.
- Die Unterhaltung wurde dabei stets sehr angeregt geführt, wobei wir zwei Jungen auch nicht zu kurz kamen und uns übergangen
fühlen brauchten. Papa, der in der Nationalliberalen Partei aktiv war, liebte gern politische Fragen zu streifen, stets hierbei von der
klugen Großmama und von der streitbaren Tante Luise unterstützt. Neuigkeiten in Handel und Industrie, Gespräche und
Tageswitze an der Börse in der vorübergegangenen Woche brauchte Großpapa Girardelli mit. Die Ereignisse im damaligen Krieg
zwischen Russland und der Türkei wurden eingehend besprochen, wie Vorkommnisse an der total verjudeten Breslauer
Universität und das Ergehen das Stadt Schweidnitz und der dort verbliebenen vielen bekannten von Papa und Großmama. Ebenso
hörten wir viel über die Triestiner Verwandten und hörten von Wien, wie zauberhaft schön und um wieviel großer es als Breslau
sei. Der Prater, die Rotunde, der damals größte Kuppelbau der Wiener Weltausstellung, der Stephansdom - der "Steffel", die
Ringstraße und die b
- este Konditorei Sacher, mit ihren berühmten Pfannekuchen, den Aprikosenkrapferln, wurden mir und Heinz zu feststehenden
Begriffen.
- Zum Abendessen fanden wir uns alle im Sommer in unserem Garten wieder zusammen. Wenn in ihm die vielen Rosen blühten,
war er besonders schön. Er war zwar nur 60 zu 50 Meter groß, erschien aber viel größer zu sein, weil sich ihm eine lange Reihe
fremder Gärten anschloss, die sich bis zur Blumenstraße, also einer Tiefe von rund 400 Metern und in wechselnden Breiten von
100 bis 200 Metern, ausdehnte. Der schöne Blick von den hinteren Zimmern unseres Hauses, gleichsam wie auf einen weiten Park,
hatte den Ausschlag gegeben, dass sich die Eltern dieses Grundstück ausgewählt und von Großpapa auch bereits in den ersten
Jahren ihrer Ehe erhalten hatten.
- Papa war in seinen wenigen freien Stunden fast immer im Garten zu finden. Er war von ihm mit unzähligen Rosenstöcken und
immer in Blühte befindlichen Monatsrosen ausgestattet worden. Die Rasenflächen waren mit veredelten Maiglöckchen, den
Lieblingsblumen von Mama, umsäumt. Auch einen Steingarten hatten wir, in den u.a. auch verschiedene Alpenblumen gut
gediehen, die wir uns jedes Mal aus der Schweiz mitgebracht hatten.
- Von den neun Obstbäumen konnten wir fast alle Jahre viele Wäschekörbe bester Birnen und guter, großer Äpfel ernten. In einer
der sonnigen Ecken hatte ich und Heinz unseren "Privatgarten" mit Zelt, Sitzgelegenheit, selbstgebauten Springbrunnen und vielen,
selbst gepflanzten Blumen darum. Stets nisteten Singvögel bei uns und im wilden Wein das fensterlosen, nachbarlichen
Fabrikgebäude für Kunstglasmalerei hausten bei dauerndem Zank und Lärm unzählige Sperlinge.
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- Als die Großeltern Girardelli im Jahre 1865 von Wien nach Breslau übergesiedelt waren, weil sich hier eine weitere Fabrik nach
den bereits in Wien und Triest vorhandenen erstehen ließ, hatte ihr Auftreten in der damals vom Fremdenverkehr noch
vernachlässigten Provinzhauptstadt beträchtliches Aufsehen erregt. "Fremde Italiener" mit Pferd und Wagen, großzügig
auftretend, Frau und Tochter auffallend hübsch - wie mir dieses durch die Jahrzehnte immer wieder erzählt worden ist - das
machte sie bald bekannt.
- Am 16.Januar 1866 hatten sich die Eltern verlobt und zwar auf demjenigen Teil der Eisbahn auf dem Breslauer Stadtgraben, der
zwischen der Neuen Taschenstraße und der Schweidnitzerstraße gelegen ist. Papa war weder Italiener noch Kaufmann und Mama
doch erst sechzehn und ein halbes Jahr alt. Großmama hätte für ihre einzige Tochter wohl auch lieber einen katholischen
Schwiegersohn haben wollen.
- Die elterlichen ersten Bedenken verloren sich aber bald. Das junge Paar hielt fest zusammen und fand taktvolle Unterstützung
durch die schon viele Jahre in der Familie der Großeltern aufgenommene Hausdame, Fräulein Kitscher. Ihrer sei besonders
gedacht. Durch die Jahrzehnte hat sie uns allen als unsere Wahltante nahe gestanden uns von uns allen viel Liebe und treue
Freundschaft empfangen und uns diese aus übervollem Herzen wieder zurückgegeben. Wegen ihrer Biedermeierlöckchen zu
beiden Seiten des Scheitels hieß sie bei uns nur die Lockentante. Vor der engen Hausgemeinschaft bei den Großeltern war sie die
Hausdame beim verwitweten Oberst von Tiele-Winckler in Miechowitz in Oberschlesien gewesen und hatte dessen Sohn
Franz-Hubert, den bekannten späteren Graf von Tiele-Winckler, erzogen. Der Zufall wollte es, dass dieser Landrat in meiner
Garnison Neustadt war, als ich dort frohe Leutnantsjahre in selbstständiger Adjutantenstellung verbrachte. Da wir durch unsere
gemeinsame Lockentante schon
- viel voneinander wussten, bildeten sich sehr bald freundschaftliche Beziehungen zwischen uns heraus. Ich verlebte viele anregende
Stunden im kleinen Familienkreis oder auch gelegentlich der Besuche prominenter und amüsanter Männer und deren Frauen aus
der Berliner, Wiener und Budapester Gesellschaft im gastfreien Landratshaus. Leider war ich kein Jäger, so dass mir dadurch
manche mir sonst zugedachte gewesene Jagdeinladung verloren ging.
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- Von unserer Lockentante ist noch zu erzählen, dass sie sich nach der Hochzeit von Mama in eine freundliche, sonnige, kleine
Wohnung auf der großen Feldstraße in Breslau zurückgezogen hat. Dort habe ich sie auf meinem Rückweg vom ihr nahen
Johannesgymnasium oft besucht, wenn ich ihr die Tischeinladungen der Eltern für den nächsten Tag überbrachte. Ihre
Zimmergenossin war durch alle Jahre eine Nachtigall.
- Als Papa eines Tages zu der gütigen, trotz ihrer achtzig Jahre noch sehr rüstig gebliebenen Frau, eilends von den Hausbewohnern
gerufen worden war, fand er sie auf ihrem Lehnstuhl sitzend bereits entschlafen vor. Auf ihrem Schoß hielt sie mit friedvollem
Gesichtsausdruck das Gebauer, in dem die sonst so zahme Nachtigall ängstlich flatterte. Ihre Standuhr aus der Biedermeierzeit,
die vor ihr ihre Eltern besessen hatten, hat sie für Mama bestimmt. Nun steht sie auf meinem Schreibtisch. Der Vater unserer
Lockentante, der k. und k. Österreichische General von Kitscher, hatte nach seiner Verabschiedung sich nach Wien
zurückgezogen, seine einstige Garnison in jüngeren Jahren.
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- Der zu frühe Tod von Großmama Ida Girardelli in der Blüte ihrer Jahre im Oktober 1866 lastete als tiefer Schatten auf dem
überaus glücklich gewesenen Familienleben im großelterlichen Hause. Sie war der Mittelpunkt gewesen.
- Am schwersten traf es die beiden jüngeren Brüder von Mama, Ettore und Vittorio. Der deutschen Sprache noch nicht
vollkommen mächtig, von einer noch ungebändigten Vitalität größten Ausmaßes und durch den Wechsel von Wien nach Breslau
in ihren Leistungen auf der Schule etwas zurückgeblieben, kamen sie zunächst in ein Internat nach Eisenach und später nach
Ostrowo bei Filehne in der Provinz Posen. Diese beiden mit Primareife abschließenden Anstalten mögen von Papa gewiss gut
ausgesucht gewesen sein - er hatte dorthin auch persönliche Beziehungen - für die erst noch 10 und 8 Jahre alten Knaben erfüllten
sie jedoch nicht voll ihren Zweck. Ihr Widerwillen gegen die dort herrschenden, nach preußisch-militärischen Vorbild geformter
Geist wurde bei ihnen, die an weichere Umgangsformen gewöhnt waren und die in der Fremde und Einsamkeit sich nach dem
Elternhaus zurücksehnten immer größer. Sie saßen zwar ihre Jahre dort ab, dafür hatte sich Papa eingesetzt. Das tiefere deutsche
Wesen war ihnen aber fü
- r lange Jahre verleidet und verschlossen worden. Ettore litt unter der Strenge und dem Zwang um vieles mehr noch als Vittorio,
der weniger differenziert veranlagt war. Der Lichtblick für beide waren die Ferienzeiten, die sie in Breslau bei ihrem Vater und bei
uns verbrachten. Mama sorgte in jeder Beziehung für sie und betreute sie zu Haus wie in der Fremde durch alle Jahre wie in
mütterlicher Liebe.
- Nach Abschluss der Schulzeit traten beide Onkel in die väterliche Fabrik in Triest ein, um sich dort die ersten kaufmännischen
und technischen Kenntnisse anzueignen.
- Onkel Vittorio ist dann während seines ganzen Lebens in Triest wohnen geblieben, zumal die Fabrik nach dem im November 1887
erfolgten Tode seines Vaters in seinen Alleinbesitz übergegangen war. Die beiden anderen Fabriken in Wien und Breslau hatte
Großpapa in den Jahren 1881 und 1882 verkauft. Die Breslauer Spritfabrik ging dadurch in den Besitz der bekannten Ostwerke
AG über, die heute im Konzern sind mit den beiden größten und beliebtesten Berliner Brauereien "Zum Schultheiß" und
"Patzenhofer", mit börsengängigen Aktienbestand.
- "Wer durchhält, der gewinnt!" Eine alte Erfahrung, die sich auch hier wieder bewahrheitet hätte. Onkel Vittorio heiratete im Jahre
1884 Beatrice Gräfin Muratti, die Tochter des Conte di muratti, Besitzer der "Privat und Effekten Bank" in Triest. Aus dieser sehr
glücklichen Ehe gingen drei Töchter hervor: Mercedes, Anita und Lily.
- Alle Triestiner Verwandten fühlten sich uns allzeit familiär und rassisch sehr nahe stehend und betonten stets unsere
Blutszugehörigkeit zu ihnen. Das war bei mir und Heinz auch offensichtlich. Wir glichen Mama; die italienische Rasse war bei uns
- am meisten bei mir - dominierend. Walter und mein mit sechs Monaten verstorbener kleiner Bruder Georg dagegen hatten von
Papas Seite her in überwiegenden Maße germanischen Typ mit blauen Augen und blondem Haar. Wir verstanden uns mit den
Verwandten in Triest immer sehr gut. Der stets rege und herzliche Briefverkehr überbrückte geistig die großen räumlichen
Entfernungen. Die wenigen gegenseitigen Besuche hätten sonst dazu nicht ausgereicht.
- Onkel Vittorio war ein ausgeprägter Lebensbejaher, groß an Figur, kraftstrotzend, das Bild der Gesundheit, der seine Freude am
Dasein sogleich auch seiner Umgebung zu übertragen verstand. Mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen stehend,
kaufmännisch nüchtern, einen Vorteil sogleich erkennend, dabei von großer Herzlichkeit und Aufgeschlossenheit, soll er am
meisten seiner Mutter geglichen haben. In vorsichtiger Einschätzung uns Auswertung der im Sommer 1914 aufkommenden ersten
politischen Trübungen kam er nach Berlin und holte sich seine dort im Depot befindlichen Wertpapiere ab. "Sicher ist sicher!"
pflegte er damals zu uns zu sagen, ohne selbst viel mehr als wir von dem heraufziehenden Unheil zu wissen. Unfassbar noch
damals für uns, dass das Bestehende sich ändern oder gar schwinden könne. Im Ausland mögen die Hinterhältigkeiten von
Englands Einkreisung von Deutschland und auch dem Vernichtungswillen des jüdischen Freimaurertums noch nicht Allgemeingut
der Erkenntnis gewesen sein,
- fest steht aber, dass politische und wirtschaftliche Beobachtungen allgemeiner Art bereits nachdenklich machen und zur Vorsicht
gemahnen mussten. Gerade hierüber und im Zusammenhang mit Onkel Vittorios damaligem Eintreffen in Berlin und
Frankfurt/Main habe ich mich eingehend in meiner Denkschrift "Soll und Haben" geäußert. Die ersten Anzeichen des
heraufsteigenden Weltkrieges waren auch an mich heraufgetragen gewesen, nur habe ich sie damals nicht verstehen und auch nicht
auswerten können.
- Onkel Ettore hatte sich nach seiner Lehrzeit in Triest auch noch die väterliche Fabrik in Wien, die Firma Girardelli, Mussatti &
Co., kennen gelernt. Da er für den kaufmännischen Beruf aber besondere Interessen nicht aufbrachte, siedelte er zu seinem Vater
nach Breslau über. Für Großpapa war das eine große Freude mit viel Aufregung im für ihn einsamen Wochenablauf. Onkel Ettore
zog in Großpapas Wohnung; ein weiteres Familienmitglied für unser Haus. Italienisch wurde sogleich wieder beider
Umgangssprache, was wiederum auf unsere Eltern auch nicht ohne Einfluss blieb. Aber auch ich und Heinz profitierten hiervon.
Wir schärften unser Ohr für den Wohlklang der italienischen Sprache, erfassten den Sinn der gehörten Worte und blieben bald
nicht mehr stumm. Die Wiedergabe der zustimmenden oder ablehnenden temperamentvollen Worte oder kurze Sätze machten
bald keine Schwierigkeit. In gutem Einfühlungsvermögen und ohne Hemmungen wandten wir sie und den sich rasch erweiternden
Vokabelschatz richtig u
- nd ebenso temperamentvoll an. Spielend hätten wir die italienische Sprache beherrschen lernen können, wenn Mama öfters in ihrer
Muttersprache mit uns gesprochen oder mit uns Bücher gelesen hätte. Sie widersetzte sich aber immer wieder unseren bitten, weil,
wie sie stets einwendete, der Triestiner Dialekt, den sie und Großpapa und Onkel Ettore sprachen, unschön und unrein sei und
dieser uns später unzuträglich sein würde.
- Onkel Ettore war differenzierter und feinsinniger als Onkel Vittorio. Er hielt sich im Verkehr mit Menschen zuerst meist zurück
und ließ sich lieber finden, als dass er andere zu erschließen suchte, eine Gepflogenheit, die übrigens auch mein Bruder Walter zu
eigen hatte. Onkel Ettore war eine Künstlernatur mit dichterischer Veranlagung, die in seinen im Jahr 1888 herausgegebenen
lyrischen Gedichten sichtbar Ausdruck gefunden hatte. Viele Gedichte in diesen "Jugendklängen" wurden wegen ihres dichterisch
wertvollen Gehalts gern von der Kritik anerkannt, manche aber auch wegen sprachlicher Unebenheiten schonungslos zerpflückt.
Wenn er sich auch gegen seine Kritiker auflehnte, so versagte seine Schaffensfreude dadurch nicht. In den Tageszeitungen und in
Zeitschriften waren öfters zarte, tiefempfundene Gedichte von ihm zu finden.
- Im Jahre 1884 heiratete Onkel Ettore Agnes, Martha Peschek, die Tochter eines Subalternbeamten in Breslau. Obwohl sie ihm
immer eine musterhaft gute und häuslich tüchtige Frau war, die ganz in seinen Interessen aufging, seine Eigenheiten lustig
hinzunehmen und zu lenken verstand, vermochte sie sich bei meinen Eltern nicht voll durchsetzen. Die seltenen Zusammenkünfte
gelegentlicher Abendeinladungen reichten niemals aus, um einen gewissen Abstand, der zwischen uns bestand, auszugleichen.
Eine Entfremdung zunehmender Art war dadurch unausbleiblich, so sehr Mama in großer Herzlichkeit auch dagegen ankämpfte.
- Ich stand Onkel Ettore von Jugend an nahe. Wir verstanden einander gut. Charakterlich und auch äußerlich hatten wir eine gewisse
Ähnlichkeit. Oft erhielt ich Beweise seiner Zuneigung, besonders nachdem ich Offizier geworden war. Manche lustige Einladung in
gepflegte Breslauer Restaurants verdanke ich ihm wie auch manche mich erfreuende Zuneigung, die stets überraschend in meiner
Garnisonstadt Neustadt in Oberschlesien eintraf, z.B. einmal ein brauner, sehr hübscher Dackelhund, oder eine Kiste mit
französischem Sekt, oder für die Manöverausrüstung Konserven und Likör. Auch mein Zigarettenetui, im Geschmack der
damaligen Mode mit dem Emailbild einer Balletteuse, trägt seine Widmung an mich.
- Aus der Ehe von Onkel Ettore sind zwei Töchter hervorgegangen, Rita und Thea.
- Rita war von früher Kindheit an immer verschlossen und scheu, zwar weniger ihren Eltern gegenüber als zu allen anderen
Menschen. In ihrer Schulzeit war sie gegen ihre Mitschülerinnen direkt ablehnend eingestellt und daher bei diesen unbeliebt und
unwillig fügte sie sich der Klassenordnung. An Liebe und Güte hat es seitens ihrer Eltern nicht gefehlt, ihren Charakter
umzustellen. Vielleicht sind sie zu nachsichtig gewesen, wie es sich Onkel Ettore später selbst zum Vorwurf gemacht hat.
- Rita stand, obgleich nicht ohne musikalische und dichterische Talente ausgestattet, doch weit hinter ihrer jüngeren Schwester Thea
zurück, auch in Äußerlichkeiten. Traten beide zusammen in die Erscheinung, so war stets Thea die umworbenere und gefeiertere
der Schwestern. Es entstanden Minderwertigkeitskomplexe, die sie nur immer noch vergrämten und ihr das Selbstbewusstsein
raubten. Es ist vielleicht anzunehmen gewesen, dass durch eine glückliche Ehe Rita zu sich selbst gefunden hätte.
- Ihr schicksalhaftes Unglück war es, dass ihre zu einem bereits verheirateten Mann entbrannte Liebe zu erhofften Ziel nicht hat
führen können. Sie hatte diesen in ihrem 25. Lebensjahre im Dresdner Schriftsteller-Club kennengelernt. Da sich der auf beiden
Seiten gewünschten ehelichen Verbindung unüberwindliche Schwierigkeiten entgegenstellten, schied sie freiwillig aus dem Leben.
Um ihren Entschluss auszuführen, hatte sie sich heimlich aus der elterlichen Villa in Klodsche bei Dresden entfernt und sich nach
dem ihr von Reisen bekannte Nürnberg begeben. Von dort erhielten ihre bereits von bangen Sorgen erfassten Eltern die
erschütternde Benachrichtigung, dass sie im dortigen "Dutzend-Teich" den Freitod gesucht und gefunden habe.
- Thea war in jeder Beziehung ein hochwertiger Mensch. In ihr offenbarte sich, über ihren Vater weit hinausreichend, eine große
dichterische Begabung. In gleich hohem Maße war sie musikalisch von einer gütigen Natur ausgestattet worden. Sie komponierte,
dichtete und schriftstellerte und brachte tief empfundene, meisterhafte Schöpfungen heraus. Auf dem Konservatorium bis zur
Künstlerklasse vollendet ausgebildet, interpretierte sie besonders gern Chopin und Liszt und Beethoven, war aber groß und
selbstlos genug, um auch jeden anderen Wunsch dankbarer Zuhörer zu erfüllen. Sie zeichnete aber auch und fertigte
Scherenschnitte und konnte Landschaftsbilder als Spiegelbild eigener Stimmungen in Seide so kunstvoll zu sticken, dass sie wie
Pastellbilder, in den zartesten Farbtönen gemalt, auf den Beschauer wirkten. Auf den Kunstausstellungen fanden sie stets ihre
Käufer. Bald erhielt Thea einen Ruf als Lehrerin an die Kunstakademie Dresdens. Ihre immer liebenswürdig gebliebenen Talente
wie ihre nie ve
- rsiegende Schaffensfreude kamen dort zur schönsten Entfaltung.
- Aber auch sportlich stand sie nicht zurück. Sie leitete nebenher den erstmalig der Kunstakademie angegliederten Unterricht für
körperliche Bewegung und Erstarkung für junge Mädchen und Frauen. Bei Thea ergänzten Körper und Seele einander in
wundervoller Harmonie. Wie ihre Seele so war auch ihr Körper beschwingter, vollendeter Rhythmus.
- Von welchem elterlichen Erb- und Baugut eine solche Fülle ihrer Talente gekommen sein mag, ist ohne weiteres nicht ersichtlich.
Der Zweiklang, gebildet aus ihres Vaters idealer, differenzierter Veranlagung und aus der Mutter unverbrauchter Kraft und
Frohnatur, hatte wohl die Vorbedingung hierzu geschaffen. Gebettet in einem glücklichen Familienleben, auf immer besonntem
Lebenswege dahinschreitend, gelangten die ihr verliehenen Gaben zur vollen Blühte. Die Synthese zwischen romanischem und
germanischem Blut war dann der Urquell, der hier sichtbar werdenden, edlen Seele.
- Aus Jugend und Anmut und sprudelnder Lebensfreude, aus sie beglückendem Schaffen, aus Anerkennung und Erfolgen nahm sie
ein tragischer Tod aus dieser Zeitlichkeit. Eine kleine Verletzung an der Hand, kaum gespürt und nicht beachtet, führte zu einer
Blutvergiftung, der sie nach wenigen Tagen, am 11. Dezember 1912 erlag, tief beklagt, nicht allein von den erneut schwer
geprüften Eltern, sondern auch von dem großen Kreis ihrer Verehrer ihres mühelos gegebenen hinreißenden, künstlerischen
Schaffens als Ausdruck eines abgeklärten, wertvollen Menschen.
- Als Zeichen ihrer Dankbarkeit ließ die Kunstakademie ihr über dem Grabe ein Marmordenkmal mit Widmung von ihr errichten. Ein
Nachruf auf die Frühvollendete von ihr in einer Dresdner Zeitung lässt sie würdigste, begeisterte Worte auf das finden, was Thea
in ihrer Mission als Künstlerin und Verehrungswerteste Persönlichkeit den Mitmenschen und in Sonderheit der Akademie während
ihres kurzen Erdenlebens gewesen ist.
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- Nach dem Tode auch dieses Kindes kränkelte Onkel Ettore dahin. Alle seine Hoffnungen waren mit Thea zu Grabe getragen
worden. Wie viel Freude für die Eltern musste unerfüllt bleiben! Wie sehr hätte Thea ihrem Eltern im Alter die liebevolle Stütze
sein können!
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- Der Verlust seines einst großen Vermögens durch Inflation und noch mehr durch Deflation beschleunigte den körperlichen Verfall.
Sein Haus in Breslau, Neue Taschenstr. 21 hatte er auch verkaufen müssen. Er starb zu Beginn seines 68. Lebensjahres an einem
Schlaganfall in seiner inzwischen von Klodsche nach Dresden, Hindenburgstrasse 16, verlegten Wohnung.
- Auf dem "Inneren kath. Friedhof" hat er neben Thea seine letzte Ruhestätte gefunden.
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- Tante Agnes überlebte ihn noch elf Jahre.
- Die kath. Kirche hatte sich ihrer in ihrer Trauer und Einsamkeit helfend und beratend angenommen. Durch deren Vermittelung fand
sie im Altersheim "Wettinstift" in Coswig bei Dresden während ihrer letzten Lebensjahre liebevolle Aufnahme. Als materielle
Gegengabe hatte Tante Agnes ihre sorgsam gehütete, wertvolle Wohnungseinrichtung der Kirche testamentarisch vorher
vermachen müssen.
- Tante Agnes starb 10 Tage nach Vollendung ihres 75. Lebensjahres an Altersschwäche.
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- Den Wechsel irdischen Glückes hat sie, wie selten ein Mensch, kennengelernt.
- Das Bewusstsein, sehr viel Liebe und Glück besessen zu haben, hat sie in Unglück und Trauer nicht verzagen lassen. Dankbaren
Herzens hat sie noch in ihren letzten Tagen hiervon zu erzählen gewusst.
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- Jedem der beiden Brüder von Mama war nach dem Tode von Großpapa ein größerer Anteil des Nachlasses nach italienischem
Recht zugefallen als Mama. Ihre anteiliges Tochtervermächtnis betrug daher vierhundertundzwölftausend Mark in Wertpapieren
und das ihr bereits im zweiten Jahre ihrer Verheiratung von Großpapa vorausvermachte Haus in Breslau, Neue Taschenstrasse 6.
- Onkel Ettore erhielt nur Wertpapiere und Onkel Vittorio die Fabrik in Triest und Wertpapiere in anteiliger Höhe.
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- Meine Eltern übersahen vollständig die pekuniäre Benachteiligung durch die Forderungen des in Italien bräuchlichen Erbrechtes.
Die nicht allzu große Benachteiligung trat überhaupt niemals in Erscheinung. Papa hatte aus ärztlicher Praxis, aus seinen Collegs
und Veröffentlichungen Ausgleich in reichlichem Umfang. Papa war mit 35 Jahren bereits Professor geworden.
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- Bei seinen Lebzeiten hatte Großpapa den Eltern überdies alle ihren kleinen und großen Wünsche über die regelmäßigen
monatlichen Zulagen hinaus erfüllt. Wenn er Sonntags zu uns kam, übergab er oftmals Mama mit einem unbeschreiblich
lustig-schelmischen Gesicht ein verschlossenes Couvert, sah die Eltern und uns Jungens der Reihe nach an und pfiff, wenn er
besonders gut gelaunt war, wie der oft in unserem Garten zu hörende Vogel Pirol pfeift, nach Abschluss seiner Musterung unserer
erwartungsvollen Gesichter. Mama flog darauf stets Großpapa um den Hals und ich und Heinz hielten in richtiger Auswertung des
Erlebnisses mit unseren Liebkosungen auch nicht zurück und kauderwelschten dazu italienisch, das, wenn wir nicht gut mehr
weiterkamen, in unbeschwerter Phantasie mit lateinischen Vokabeln durchsetzt wurde. Die Superlative spielten in Verherrlichung
des Augenblickes eine Hauptrolle. Hierüber wiederum konnte sich Großpapa vor Lachen schütteln. Ich und Heinz aber wussten,
dass wir ihn am Tage da
- rauf wieder einmal "mit Erfolg" besuchen konnten.
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- Großmama Ida Girardelli entstammte demjenigen Zweig der Familie v. Socher, der im Jahre 1779 bereits in Triest ansässig
geworden war. Von Klagenfurt waren sie dorthin über Spittal an der Drau gekommen. Gelegentlich eines nur für kurze Zeit in
Neapel geplant gewesenen Aufenthaltes wurde dort Großmama Ida geboren; sie hatte eine Zwillingsschwester, und weitere zwei
Brüder und noch eine Schwester. Mama erzählte uns oft von ihrer Mutter. Sie muss von einer sehr großen Herzensgüte gewesen
sein. Es war ihr Bedürfnis, anderen eine Freude bereiten zu können. "Wie hätte sie Euch verwöhnt", waren die so oft
wiederkehrenden Worte von Mama zu uns. Großmama Ida war von einem heiteren Gemüt, lebhaft, mitteilsam, lebensbejahend,
und wie Mama, alles verstehend und daher nachsichtig und in ihrem Urteil vermittelnd. Sie war mittelgroß, etwas korpulent, von
bester Gesundheit und hatte Zähne "wie die Perlen". Sie besaß alle guten Eigenschaften der Österreicherin. Den Zauber der
Gemütlichkeit und Behaglichkeit
- , der von ihr ausging, empfand jeden sogleich, mit dem sie zusammenkam. Den Ihrigen gab sie davon in unerschöpflichem
Ausmaß.
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- Umso härter traf alle ihr so früher und tragischer Tod im kleinen schlesischen Badeort Kudowa.
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- Großpapa Girardelli war im Sommer 1866 mit seiner Familie dorthin übergesiedelt; ihn bestimmten hierzu einige Fälle von
asiatischer Cholera, die zu dieser Zeit in Breslau aufgetreten waren. Solange Gefahr bestand, wollte er dadurch einer Ansteckung
ausweichen. Man wohnte im Kurhaus.
- Mitbestimmend für die Wahl diese Kurortes war, dass damals Papa während der Dauer des Krieges 1866 mit Österreich im nahen
Schloss Nachod die chirurgische Abteilung des Johanniter-Lazaretts leitete. Schloss und Stadt Kudowa sind in Böhmen wenige
Kilometer nur von der Grenze nach Preußen entfernt gelegen. Im Herbst 1909 habe ich vom Bad Kudowa aus das Schlachtfeld
von Nachod besucht und das alte, auf einer Anhöhe gelegene Schloss aufgesucht. Der alte, würdige Kastellan, der mich führte,
hatte noch deutliche Erinnerungen an seine Tätigkeit auf dem Schloss während jener Kriegszeit und zeigte mir die Säle und
Zimmer, die für die Verwundeten hergerichtet gewesen waren, in denen Papa gewirkt hatte. Der Blick von dort auf die Stadt und
weit hinaus auf die sonnendurchfluteten, böhmischen Fluren war wunderbar schön. Wie weit zurückliegend erschien es mir zu
sein, dass die Eltern mit meinen Großeltern auch dort gewesen! Und doch waren es nur 43 Jahre!
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- An einem warmen Herbsttage damals wollte Großpapa mit seiner gesamten Familie, einschließlich also mit Papa als Bräutigam,
den Nachmittagskaffee in einem etwa eine Stunde von Bad Kudowa entfernt liegenden Ausflugsort einnehmen. Alle wanderten zu
Fuß dorthin, nur Großmama sollte zu Wagen nachkommen, weil sie sich wegen ihres Bruchleidens zu schonen hatte. Zum
Staunen aller erschien sie aber nur wenig später als die anderen auch zu Fuß, überaus erfreut über die geglückte Überraschung.
Sogleich beim Niedersetzen an dem Tisch begann sie über plötzlich auftretende, große Schmerzen zu klagen. Ihr Bruch hatte sich
eingeklemmt!
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- Trotz aller nur möglichen Hilfe war ihr Leben nicht mehr zu retten gewesen. Auch die beiden aus Breslau und aus Wien
telegraphisch herbeigerufenen Chirurgen kamen zu spät.
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- Großmama provisorische Beerdigung fand am 7. Oktober 1866 im Kirchdorf Tscherbeney bei Bad Kudowa statt. Darauf wurde
sie in die Familiengruft der Girardelli nach Triest überführt. Diese befindet sich dort auf dem St. Anna-Friedhof.
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- Welch große Veränderung brachen dieser Trauerfall auch für Großpapa mit sich! Wie plötzlich war er vereinsamt! Die beiden
Söhne kamen nach Thüringen in Pension und Mama heiratete etwa sechs Monate danach. Die Wohnung am Ring wurde aufgelöst
und Großpapa bezog die kleine Parterrewohnung im Haus meiner Eltern, um die einundzwanzig Jahre seiner Zeit als Witwer in ihr
zu verbleiben.
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- Im letzten Jahr seines Lebens wurde Großpapa hinfällig und klagte sehr über Müdigkeit. Zwar verbrachte er die Sonntage nach wie
vor bei uns, legte sich aber bald nach Tisch, im großen Gegensatz zu früheren Zeiten, stets unter einer kleinen Entschuldigung,
schlafen und ließ sich auch nicht dadurch stören, dass wir im Zimmer nebenan vesperten und plauderten. Sein großes
Schlafbedürfnis wurde dann nur noch durch sein Abendessen unterbrochen.
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- Zwei Jahre vor seinem Tode hatte Großpapa noch eine Lungenentzündung zu überstehen gehabt. Mit Genugtuung erzählte er
stets, dass er seine Rettung nur sich selbst zu verdanken habe. Stärkster Willen, nicht zu sterben, sondern noch weiter zu leben,
habe ihn siegreich über die Krise seiner schweren Krankheit hinweggebracht.
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- Medikamente hat er, wie Pfaffen und Juden, niemals geschätzt und hat sich dank seiner guten gesundheitlichen Veranlagung die
Ablehnung ärztlicher Hilfe auch gestatten können.
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- Am 5. November 1887 ist Großpapa in seinem 71. Lebensjahr nach vorausgegangenem Gehirnschlag in den Armen von Mama
sanft entschlafen.
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- Auch er wurde in der Familiengruft in Triest überführt.
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- Im Spätherbst des Jahres 1890 stand ich dort am Grabe der Großeltern. Papa hätte mich zur Jahresfeier meiner Beförderung zum
Offizier nach Oberitalien reisen lassen, obgleich ich bereits im Juli mit den Eltern, wie alljährlich, auf Rigi-First, oberhalb des
Vierstädter Sees, oberhalb von Vitznau, gewesen war.
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- Mein Weg hat mich später leider niemals wieder nach Triest geführt, obgleich ich zweimal in seiner Nähe, in Venedig gewesen
war. Teils lag das daran, dass ein weiterer Besuch von mir zu den Triestiner Verwandten in Begleitung meiner Eltern geplant war,
und dass, als Papa uns vorzeitig genommen war, Mama ihre Reisen mit uns dorthin unternahm, wo Walter für seine Gesundheit
am meisten Vorteil haben konnte. So suchten wir erst die Ost- und Nordseebäder auf, dann später Berchtesgaden, Kissingen, die
Dolomiten, das Berner Oberland und das Engadin. Wenn ich aber aus dienstlichen Gründen meine Urlaubszeit nicht mit Mamas
und Walters Sommerreisen in Einklang bringen konnte, entschädigte mich Mama mit einer Reise nach Beendigung des Manövers.
Anstatt dann die franz. Riviera aufzusuchen, hätte ich (mit dem Ausgangspunkt Triest) besser bis Rom und Neapel fahren sollen.
Wenn ich das aber damals nicht getan habe, so allein deswegen, weil ich mich nicht genügend gut für Rom vorbereitet hielt, trotz
manc
- her Vorstudien bereits, das ewige Rom, die Stadt humanistischer, klassischer Bildungseindrücke, selbst zu schauen. Ich ahnte es
damals ja nicht, dass alljährliches Reisen einmal nicht mehr zu den selbstverständlichen Lebensgewohnheiten für mich, und die
Meinigen, werden könnte. Ich glaube, dass mir Triest niemals entgehen und dass ich meine Verwandten dort oft wiedersehen
würde, die es mit mir so herzlich gut meinten. Sie hatten sogar für mich bereits eine Braut gewusst.
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- Es ist gut, dass die bella signorina nicht auf mich gewartet hat!
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- Mama hat in ihrem 70. Lebensjahr (1919) zusammen mit Walter noch einmal ihre geliebte Vaterstadt, die Stadt ihrer ersten
Jugendeindrücke, aufgesucht und nach langer Pause alle ihre Verwandten dort wiedergesehen. Sie hat von diesem sie sehr
beglückenden Erlebnis bis in ihre letzten Wochen gezehrt. Sie erinnerte sich überhaupt bis zuletzt in einer wundervollen Frische an
längst vergangene Begebenheiten. So erzählte sie mir einmal, noch Ende 1928, wie die Tafel bei ihrer Hochzeit in der Breslauer
Alten Börse geschmückt gewesen sei, wer Tischreden gehalten habe und wie sie Tischordnung aussah. Ich habe mir schnell
Papier und Feder geholt und alles wörtlich mitgeschrieben, was Mama mir hierüber zu erzählen wusste und halte es im
Familienarchiv verwahrt.
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- Von Mama habe ich auch meine Kenntnisse über ihre Großeltern, meine Urgroßeltern, empfangen. Ich hätte gewiss von Großpapa
auch vieles über sie erfahren können, wenn mein Interesse für die älteren Generationen in meinen jüngeren Jahren nicht noch
geschlummert hätte. Trotzdem profitierte ich manches von dem, was Onkel Ettore und Papa aus an Ort und Stelle angestellten
Forschungen über sie zu erzählen wussten.
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- Mein Urgroßvater Antonio Girardelli wurde im Jahre in dem Kirchdorf Valle St. Felice, nördlich des Gardasees, im Trentino
Oberitaliens geboren.
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- Schon seine Eltern und Voreltern besaßen in "ununterbrochener Erbfolge", "seit undenklichen" Zeiten einen Bauernhof mit
Äckern.
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- Mein Urgroßvater Antonio, der Jüngste von 7 oder 8 Geschwistern wanderte im achtzehnten Lebensjahre, also um 1800 nach
Triest aus. Er besaß eine unbändige Unternehmungslust und Arbeitskraft und einen eisernen, unbeugsamen Willen, kaufmännisch
voran zu kommen. Er nannte sich stets gern und mit Stolz "Bauernjunge". Unverbrauchtes, gesundes Blut strebte ehrgeizig nach
besonderer Betätigung.
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- Mit geringen, ihm anfänglich zur Verfügung gestellten Mitteln und aus Ersparnissen aus seiner bald erlangten Vertrauensstellung in
einer Spritfabrik beteiligte er sich bereits mit dreißig Jahren an diesem Unternehmen.
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- Darauf gründete er in Triest eine eigene Sprit- und auch darauf eine Teigwarenfabrik und kam bereits in seinen mittleren Jahren zu
Wohlstand. Zwei eigene Schiffe von ihm befuhren das Mittelmeer, und sicherten ihm auch im Ausland einen großen Absatz seiner
Waren. Einem seiner Geschäftsfreunde auf der Insel Zypern verdankten meine Eltern es noch in den achtziger Jahren des vorigen
Jahrhunderts, dass alljährlich um die Weihnachtszeit, und auch bei Großpapa Girardelli, ein Fässchen köstlich süßen
Zypernweines eintraf.
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- Urgroßpapa Nono, wie er anstatt Antonio von den Seinigen genannt wurde, war von Gestalt mittelgroß und gedrungen. Er legte bi
in sein höchstes Lebensalter größten Wert auf Anzug, Toilette und auf eine sehr gepflegte Küche. Grundsätzlich ging er mit
Gehrock, Zylinderhut und Stock mit silbernem Griff spazieren. Er besaß einen eigenen Wagen und Pferde und fuhr darin alle Jahre
einmal nach Karlsbad oder nach Baden bei Wien. Seine Gesundheit war eisenhart. Niemals hat ihn jemand bettlägerig oder
wirklich krank gesehen. Von den Seinigen ist seine ständige Gewohnheit immer von neuem bestaunt worden, sich nach seinen
Spaziergängen dadurch abzukühlen, dass er Fenster und Türen öffnete und sich bei ausgezogenem Überrock dahin setzte, wo die
Zugluft am stärksten war. Dazu liebte er Rotwein zu trinken. Tabak aber soll er stets verschmäht haben.
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- Zur Feier seines achtzigsten Geburtstages schenkte es seinem Heimatdorf St. Felice eine Kapelle, die mit der Pfarrkirche " einen
Körper bildet. Am Eingang zur Kapelle wie am Altar steht auch heute noch sein Namen als Stifter in Marmor eingemeißelt und
darüber befindet sich das Familienwappen der Girardelli. Nach dem Bericht des dortigen Pfarrers ist es ein Adelswappen, was
auch der Familientradition entspricht, dahingehend, dass die Vorfahren das Adelsprädikat besessen haben. Leider ist durch meine
Forschungen genaueres hierüber nicht mehr festzustellen gewesen, weil im ersten Weltkrieg St. Felice im Frontbereich gelegen war
und dadurch das Pfarrhaus und ein großer Teil der Häuser und mit ihnen die Kirchenbücher durch Feuer vernichtet worden sind.
Aus diesen hatte aber Papa bereits im Jahre 1873 feststellen können, dass die Familie Girardelli bis im Jahr 1460 nachweisbar in
St. Felice angesessen gewesen ist. Der jetzt dort amtierende Pfarrer Tranquillini hat mir mitgeteilt, dass die Girard
- elli "seit urdenklichen Zeiten" in St. Felice gelebt haben, wie solches aus Grabinschriften zu ersehen sei.
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- Von meiner Urgroßmutter Abdreana, Giovanna Girardelli, geb. Toso, ist zu berichten, dass sie einer Kaufmannsfamilie
entstammte, deren Mitglieder alle, wie sie selbst, sehr groß und schlank gewesen sind.
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- Da die Girardelli von Figur nur mittelgroß und untersetzt stet gewesen sind, so ist anzunehmen, dass die beiden Brüder von Mama
ihre gesteigerte Größe von ihrer Großmutter Andreana als Erbgut erhalten hatten.
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- Ganz offensichtlich setzt sich bei dem einen der Brüder meiner Mutter, bei meinem Onkel Vittorio, die überdurchschnittliche
Größe seiner Großmutter Andreana und nochmals bei zweien seiner Töchter durch, zumal deren Mutter klein, zierlich und schlank
war.
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- Eine dieser Töchter gleicht aber in Aussehen und Figur auffallend unserem Helmut. Bei ihm ist seine blutsmässige Zugehörigkeit
zur romanischen Rasse dominierend in die Erscheinung getreten. Wahrscheinlich wirkte auch bei ihm nochmals das Toso´sche
Erbgut nach und setzte sich in einer gesteigerten Körpergröße nachmals durch.
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- Bei unserem Hans jedoch, der Helmut zwar noch überragt, und der rassisch von Kindheit an mit seinen goldblonden Locken und
blauen Augen reinsten germanischen Typ zeigt, hat sich des Erbgut der Moritz-Eichborn durchgesetzt, also die überragende
Größe seines Urgroßvaters Moritz-Eichborn.
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- Der Stammbaum der Familie Girardelli
- Zusammenfassende und ergänzende Betrachtungen
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- In ungebrochener Kraft, auf eigenem Grund und Boden angesessen und mit ihm aufs engste verbunden, leben seit Jahrhunderten
seit 1460 die Vorfahren meines Urgroßvaters Antonio Girardelli in St. Felice, im Trentino, nördlich des Garda-Sees.
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- Zur Feier seines 80. Geburtstages, im Jahre 1862, stiftete mein Urgroßvater , er lebte 1782 bis 1867, der Kirche seines
Heimatdorfes den sie vergrößerten Anbau einer Kapelle.
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- Über dem Eingang zu dieser ist sein Namen und Wappen in Marmor gemeißelt und heute noch erhalten. Es ist ein Adelswappen,
was auch der Familientradition entspricht, dass die Girardelli ursprünglich mit dem Adelsprädikat größeren Landbesitz gehabt
haben sollen. In welchem Jahre der Adel abgelegt worden ist und welches die nähren Gründe hierfür waren, ist nicht bisher zu
ermitteln gewesen. Durch die politischen Verhältnisse seit dem Jahr 1914 kamen die Forschungen wenig voran und bleiben einer
späteren Zeit vorbehalten. Meine Kusine Lily Machlig, geb. Girardelli, Triest XI., Via Genova 14, ist zu jeder Mithilfe immer
bereit.
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- Die Vitalität meines Urgroßvaters hat sich nicht allein nur in der Erreichung seines hohen Lebensalters von 85 Jahren gezeigt. Sein
Schaffensdrang trieb ihn aus den für ihn zu eng gewordenen ländlichen Verhältnissen im Elternhaus schon in jungen Jahren hinaus.
Den Beruf zum Kaufherrn in sich fühlend, kommt er bereits in mittleren Jahren durch eiserne Energie und Intelligenz zu großem
Erfolg und Besitz.
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- Er heiratete Andreana Toso, die einer angesehenen Triestiner Kaufmannsfamilie entstammt.
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- Die 3 aus dieser Ehe hervorgegangenen Söhne, Carlo, Eugenio und Giuseppe (Joseph) werden gleichfalls Kaufherrn und
Mitteilhaber des väterlichen Fabrikunternehmens.
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- Der tüchtigste von Ihnen ist der jüngste Sohn, mein Großvater Giuseppe Girardelli.
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- Er lässt sich seinen Anteil auszahlen und erbaut sich zwei neue Fabriken, je eine in Wien und die andere in Breslau etwa 10 Jahre
später, der alten Handelsstrasse folgend, die die Adria mit der Ostsee verbindet.
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- Er heiratet Ida v. Socher, die dem Kärnthner Zweig der Familie v. Socher entstammt und deren Mitglieder als Erb- und
Gerichtsherren in und bei Klagenfurt angesessen waren. Um 1700 siedeln ihre Voreltern erst nach Spittal an der Drau und darauf
1779 nach Trieste über, wo ihr Vater sich als Leiter eines großen Exporthauses kaufmännisch betätigt hat.
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- Aus dieser Ehe gehen eine Tochter Ida und 2 Söhne Ettore und Vittorio hervor.
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- Ida Girardelli heiratet 1867 meinen Vater Julius Sommerbrodt.
- Ihr Bruder Ettore ist eine Künstlernatur, dagegen zeigt Vittorio eine erbbedingte, große kaufmännische Veranlagung.
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- TEIL II. Die Eltern und Geschwister meines Vaters und dessen Vorfahren.
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- 1807 - 1872
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- Mit meinem Großvater Heinrich Sommerbrodt verbindet sich meine frühste Erinnerung überhaupt. Er war Ende Dezember das
Jahres 1871 von Schweidnitz nach Breslau herübergekommen, um an der Freude meiner Eltern über die Geburt ihres zweiten
Stammhalters teilzunehmen und um diesen seinen Enkelsohn Heinrich, unseren Heinz, kennen zu lernen.
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- Es ist mir seitdem immer plastisch deutlich geblieben, wie Großpapa mir an seiner auf meiner rechten Fingerspitze gestellten
Zigarrentasche versinnbildlicht hat, um welches Maß ich noch zu wachsen hätte, um die Türklinke erfassen und ohne fremde Hilfe
das Zimmer verlassen zu können.
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- Niemals mehr habe ich die ganze Situation für mich vergessen, wie ich an einer bestimmten Esszimmertür vor ihm gestanden habe.
Seine Figur, ja der Klang seiner Stimme, ist niemals mehr, bis heute, aus meinem Gedächtnis ausgelöscht worden. Ich habe
Großpapa nur das eine Mal gesehen.
- Vier Wochen darauf war er aus anscheinend bester Gesundheit heraus einem Schlaganfall erlegen.
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- Um meine persönlichen Eindruck herum sind dann die vielen Erzählungen über Großpapa seitens meiner Eltern oder durch
Großmama Sommerbrodt oder durch seine in Breslau lebenden beiden Brüder, meine Großonkel Otto und Julius, in allen weiteren
Lebensaltern von mir erstaunlich gut haften geblieben. Sein großes Bild über meines Vaters Schreibtisch belebten meine mir
vermittelten Eindrücke über ihn stets von neuem.
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- Alle Geschwister meines Großvaters besaßen wie er selbst als köstliches Erbteil ihrer Mutter Julie, geb. Treutler, jene echte und
wahre Herzensgüte, die jeden sogleich erreicht und die jeden erwärmt und beglückt. Nach Ansicht meiner Eltern war sie der
Schlüssel neben den sonst vorhanden gewesenen guten Charaktereigenschaften, neben Klugheit und Wissen zu den Erfolgen, die
Großpapa und seine Brüder gehabt und die sie glücklich werden ließen.
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- Großpapa Heinrich wurde am 1. April 1807 als zweitältester Sohn des Königlichen Hofrats Heinrich, Friedrich, Wilhelm
Sommerbrodt - Letochleb in Gross-Glogau a.d. Oder geboren.
- Nach bestandenem Abiturientenexamen studierte er in Leipzig anfänglich Chemie, darauf aber Pharmakologie, um den
Apothekerberuf zu ergreifen. Seine praktische Lehrzeit begann er in der Mohrenapotheke in Breslau am Markt. Die Wahl des
Ortes Breslau war dadurch gegeben, dass sein Vater inzwischen an das Oberlandesgericht Breslau versetzt worden war und die
beiden Brüder Otto und Julius dort verheiratet waren. Otto Sommerbrodt war Appellationsgerichts-Präsident, Julius
Sommerbrodt Geheimer Regierungs- und Provinzialschulrat.
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- Nach abgeschlossener Ausbildung im Jahre 1830 legte er in Berlin Anfang September j. Js. Seine Staatsprüfung mit dem Prädikat
"sehr gut" ab.
- Ein Jahr vor seiner Verheiratung mit Minna Luise Herzog, Tochter des verst. Gymnasialdirektors Herzog in Löbau i. Sa. Kaufte er
sich Mitte 1837 die Apotheke "Zum goldenen Adler" nebst zugehörigem großem Grundstück am Marktplatz in Schweidnitz.
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- Schweidnitz wurde ihm zur zweiten Heimat. Was ihm diese Stadt gewesen ist, welchen Einfluss er auf deren Entwickelung gehabt
und wie sehr sie es ihm gedankt hat, spiegeln die vielfachen Ehrungen wieder, die ihm zuteil geworden sind.
- Er gehörte dem Vorstand des evangelischen Kirchekollegiums, den Gymnasial- und des Gewerbeschulkollegiums an und war
zweimal in den Provinziallandtag gewählt worden.
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- Als im Revolutionsjahr 1848 auch in Schweidnitz sich die Wogen zu überschlagen drohten, hatte Großpapa die erregte
Bürgerschaft durch sein persönliches Erscheinen noch im letzten Augenblick zur Besonnenheit und zum Zurückweichen
veranlassen gewusst. Als der dritte Trommelwirbel und die letzte Aufforderung der militärischen Gewalt an die Bürgerschaft
bereits vergeblich verklungen war, also unmittelbar vor dem Kommando zur Feuergabe, sprang Großpapa vor und vermochte
durch die Autorität seiner Persönlichkeit, mit weithin schallender Stimme, die sonst unvermeidlich gewesenen Blutopfer zu
verhüten. Erst auf sein Erscheinen wichen die erregten Demonstranten zurück.
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- Politisch bekannte sich Großpapa zum Geist und zu den Zielen der in der Paulskirche in Frankfurt/M. zusammengekommenen
Männer und zu deren Idealen.
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- Am Tage seines fünfundzwanzigjährigen Jubiläums als Stadtverordneten-Vorsteher, am 14. Juli 1867, ehrten ihn seine Mitbürger
durch Errichtung einer Heinrich Sommerbrodt-Stiftung aus deren Zinsen "immerwährend und alljährlich" zwei der Gabe würdige
Mitbürger je einen Betrag erhalten sollten. Ferner ließ die Stadt ein Ölbild von ihm anfertigen, bestimmt dazu, im großen Saal des
Rathauses, in dem alle Sitzungen stattfanden, seinen Platz zu finden.
- Dort ziert es auch heute noch den Raum. Auf dem Rahmen befindet sich eine Bronzetafel mit folgender Inschrift:
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- Heinrich Sommerbrodt
- Apothekenbesitzer; mehr als 30 Jahre
- Stadtverordneten Vorsteher; Mitglied
- Des Provinziallandtages; Mitglied des