Besonnte   Vergangenheit
 
 
 
Teil III.  Meine Eltern und wir Geschwister. Der Erste Weltkrieg.
 
 
Erzählt  von
Erhard Sommerbrodt
Oberstleutnant a.D.
geb. am 28.12.1867 in Breslau, gest. am 28.8.1956 in Wiesbaden 
 
 
 
Die Ehe meiner Eltern ist überaus glücklich gewesen. Mama hat oft ausgesprochen, dass niemals die kleinste Differenz oder Disharmonie zwischen beiden Ehegatten bestanden habe. Immer habe sie sich führen lassen. Es entsprach das ihrem Naturel in jungen Jahren und dann später ihrer grundsätzlichen Einstellung zu den von ihr auf Grund kluger Beobachtungen gesammelten Lebenserfahrungen.
 
Mama hatte sich in sehr jungen Jahren Papa erschlossen. Bei ihrer Verlobung fehlten noch einige Wochen bis zur Vollendung ihres siebzehnten Lebensjahres; Papa war 27 Jahre alt. Freudig hat sie seine persönlichen Ansichten und Interessen von Anbeginn zu den ihrigen gemacht, hat sich vollkommen in sie hineingelebt, ist in ihnen aufgegangen und soweit ihr das möglich war, später auch in seinen Berufsinteressen.
 
Oft und gern sprach sie es aus, dass grundsätzlich sich die Frau nach ihrem Mann zu richten habe und dass dieses das Rezept sei, dass jede Ehe gut gerate. Das sei keine Preisgabe der Selbstständigkeit im Fühlen und Denken, sondern eine Hinaufentwicklung zu den größeren Erfahrungen und gereifteren Erkenntnissen des geliebten Mannes, wodurch auch dieser wiederum Gewinn habe.
 
Bei solcher Einstellung der Eltern zueinander hatten wir Kinder den großen Vorteil, dass wir in diesem vollkommenen Gleichklang Widersprüche oder Differenzen überhaupt nicht kennen lernten. Die autoritäre Stellung, die Mama unserem Vater liebevoll gab, verschaffte beiden Eltern unseren aller selbstverständlichen Gehorsam und zwar freudig und vorbehaltlos. Nicht als ob Papa etwa streng oder rechthaberisch gewesen wäre; das ganze Gegenteil war bei ihm der Fall.
 
Wir hatten aber Gehorsam als eine selbstverständliche Angelegenheit kennen gelernt, den zu erfüllen uns niemals schwer gefallen ist. Dazu kam, dass uns in unseren Charakteranlagen Widerspruch nicht angeboren war.
 
Hierdurch ist es mir (wie auch Heinz) eine Selbstverständlichkeit gewesen, der militärischen Disziplin mich zu fügen. In den älteren Vorgesetzten, besonders in den höheren Chargen, sah ich mehr den erfahreneren Berater als die sich mir gegenüber betätigenden Befehlsgewalt. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass das Dienstverhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen bei der Feldartillerie (und Kavallerie) stets sehr viel angenehmer und gelockerter war, als bei der im altpreußischen Kommiss erstarrt gebliebenen Infanterie, bei der unser Helmut leider eine sehr harte Schule hat kennen lernen müssen. Ungeeignete Lehrkräfte aus dem Reserveverhältnis, die obendrein zeitbedingt gegen den Akademiker eingestellt waren, haben besonders durch ihre Voreingenommenheit ihm den Dienst erschwert und ihm die Dienstfreudigkeit zeitweise stark beeinträchtigt.
 
Wir drei Brüder sollen sehr leicht zu erziehen gewesen sein. Da unser Vater durch seine Sprechstunden und Collegs, durch seine Forschungen über das von ihm in die Medizin eingeführte Creosot und durch seine Veröffentlichungen hierüber, ferner durch seine aktive Beteilungen im öffentlichen politischen Leben in seiner Zeit ebenso beansprucht war wie durch seine Mitgliedschaft in wissenschaftlichen und kulturellen Vereinen (er war u.a. Vorstand des Breslauer Orchestervereins) und schließlich auch als "Alter Herr" seiner Raczek-Burschenschaft, so lag in unseren Entwicklungsjahren unsere Erziehung vornehmlich in den Händen von Mama. Obwohl wir unseren Vater nur Mittags und Abends bei uns hatten, so blieb er uns doch stets nahe. Mama hielt ihm manchen kleineren und größeren Schulverdruss fern, so dass wir ihn stets in froner Stimmung sahen, wenn er bei abendlicher Musik am Klavier oder Harmonium Entspannung suchte, uns mit Opermelodien bekannt machte oder uns Studentenlieder vorsang und beibrach
Dabei fehlte niemals eine halbe Flasche Rheinwein oder Moselwein, den er durch alle Jahre von seinem Studienfreund J.P. Valkenberg in Worms/am Rhein bezog. Valkenberg ist der Alleinbesitzer des weltbekannten Weinbergs innerhalb das Klosterartens in Worms, wo der Liebfrauenmilch-Wein in Wirklichkeit wächst.
 
Zur Taufe von mir, als seinem erstgeborenen Sohn und Stammhalter, dedizierte Valkenberg Papa eine Kiste 1861er Liebfrauenmilch Auslese, von diesem köstlichen Taufwein wird wohl später noch die eine oder andere Kiste in unseren Keller gefunden haben; fest steht jedenfalls, dass bei Papas Tod noch 40 Flaschen vorhanden waren und je zur Hälfte mir und Heinz zugesprochen wurden. Dieses seltene Edelgewächs hat dann im Laufe von vierzig Jahren alle Feiern in meiner eigenen Familie verschönt und ihnen als mein Taufwein eine besondere Note gegeben.
 
An den Sonn- und Feiertagen beschäftigte sich Papa sehr eingehend mit uns, noch mehr aber, wenn wir während der großen Schulferien mit den Eltern auf Reisen gingen.
 
Diese schon von Jugend an unternommenen Reisen hatten auf meine Entwicklung einen großen Einfluss. Wenn auch bis etwa zu meinem 14. Lebensjahr nur die Badeorte Schlesiens und der Ostsee aufgesucht wurden, so erhöhten auch sie schon die Freude in der Natur und an den Naturwissenschaften und machten mich außerdem fremden Menschen gegenüber, mit denen man zusammenkam, unbefangen und aufgeschlossen. Als wir dann alljährlich über Wien, München oder Frankfurt/M. das Salzkammergut mit Jschl, Salzburg, den vielen schönen Seen oder Berchtesgaden aufsuchten, oder in der Schweiz oberhalb des Vierwaldstädter Sees oder auf den Bergen bei Zug "Stammgäste" wurden, da war meine Aufnahmebereitschaft für die größeren Verhältnisse bestens geweckt. Das Zusammensein mit Familien aus Italien, Holland, Belgien, Österreich, Spanien, Russland, USA und der Schweiz gaben mir einen großen Vorsprung gegenüber meinen Altersgenossen im Verkehr und in der Beurteilung von Menschen beiderlei Geschlechts und jeden Alters.
Ich begriff schnell, dass mit manchen Menschen sogleich der geistige Kontakt gefunden ist und mit einer gewissen anderen Art um vieles schwerer und dass, wenn man sich gleichaltrig, gegenseitig verstehen will, dieses auch ohne große Kenntnis der fremden Sprache schnell möglich ist.
 
Mir wurde auch bewusst, welch großes Vertrauen der deutsche Offizier in aller Welt besaß, besonders, wenn er ritterlich und aufgeschlossen sich gab und zeigte.
 
Das Zusammentreffen mit interessanten Menschen von Kultur und Bildung erweiterte stets mein Wissen. Wie sehr gleichen sich doch die Menschen überall in gleichen Bereichen der Gesellschaft!
 
Der sonnennahe Aufenthalt auf Bergeshöhen, die reine stärkende Luft dort oben, die herrliche Natur und nicht zuletzt die gepflegten, großartigen Hotels bewirkten, dass eine unbändige Sennsucht verblieb, dorthin wieder zurückzukehren oder weitere Schönheiten kennen zu lernen.
 
Schon damals war ich entschlossen, das alles einmal den Meinigen zu bieten, wenn ich später sie besitzen und für sie zu sorgen haben würde.
Sogleich nach meiner Verheiratung ging ich daher auf mich eine Lebensversicherung bei der Lübecker Lebensversicherungsgesellschaft über RM 30.000 ,-- ein, die längstens nach 20 Jahren zur Auszahlung zu kommen hatte. Der nahe und ferne Osten und Amerika sollten für mich und die Meinigen das Ziel unserer Reisen und Erkenntnisse werden. Ihnen sollte offenbar werden, dass nur ein weiter Blick und eine umfassende Bildung die großen Zusammenhänge politischer und kultureller Art zu erfassen vermag. Für ihren späteren Beruf und Lebensweg und für die Bildung ihres Charakters war solche Erkenntnis von entscheidendem und unschätzbaren Wert.
 
Den nennenswerten Versicherungsbetrag erhielt ich 1922 ausbezahlt, als die Inflation bereits heraufzog. Mit ihrer Beendigung war auch meine Hoffnung zerronnen, die weit gestreckten Ziele verwirklichen zu können.
 
Von allen ihren Reisen brachten sich die Eltern selbstgepflückte Blumen mit. An den Winterabenden wurden sie, inzwischen durch sorgsame Pressung getrocknet, auf weißen Kartons zu kunstvollen kleinen Sträußen gruppiert und darauf befestigt. Die Fundorte und eventuell besondere Erinnerungen wurden hinzugeschrieben. Mama hat ihr ganzes Leben an dieser ihr lieb gewordenen Gewohnheit festgehalten, sich Blumen zu sammeln, die mit ihr Zeugen besonderer Eindrücke und Erlebnisse gewesen waren aber nicht nur auf Reisen, sondern auch bei allen Familienereignissen, bei Freude und Trauer.
Alljährlich, bald nach Neujahr war es bei uns zur Tradition geworden, abends mit Hilfe von Bädeckers Reisehandbuch, Atlas und Reichskursbuch Pläne für die kommende Sommerreise zu schmieden. Uns allen verhalf dieser Brauch zur Erweiterung unserer geographischen Kenntnisse. Soviel Pläne aber jedes Mal auch geschmiedet worden waren, das Risiko wurde nicht eingegangen, vielleicht noch schöneres kennen zu lernen. Die Sehnsucht nach den bekannten, herrlich schönen Bergen und die Gewissheit, einen großen Teil der alten, lieben Bekannten wieder zu sehen, überwog zuletzt und warf alle neuen Pläne um, wenn die Ferien- und Reisezeit sich wider jährte. Besonders freuten wir uns alle auf das Wiedersehen mit dem russischen General v. Soltikoff auf Rigi-First, hoch über dem Vierwaldstädter See, der mit seinen beiden jugendlichen Töchtern mit Gesellschaftsdame und mit seinem gleichfalls verwitweten Bruder (auch russ. General) wie wir, Stammgast dort war. Im Sommer bereiste er die Schweiz und Italien, im W
inter verkehrte er mit seinen Töchtern in der großen Petersburger Gesellschaft und am Zarenhofe. Die ältere seiner beiden Töchter war Hofdame der Kaiserin. In den Zwischenzeiten bewirtschafteten beide Generale ihr im südlichen Kaukasus gelegenes Gut. Zuerst waren die beiden, noch in den besten Jahren befindlichen Herren immer etwas still; bald aber begannen sie wieder wundervoll interessant über russische Verhältnisse zu plaudern und von den Petersburger "Winteraffären" zu erzählen, durch die ich und Heinz erstmalig Einblick in eine uns bis dahin fremde Welt erhielten, in der man sich bestimmt nicht zu langweilen brauchte. Die beiden Töchter, hübsch und liebenswürdig, beherrschten auch die deutsche, englische, französische und italienische Sprache, wie das die meisten Angehörigen der russischen Oberschicht auch gekonnt haben sollen.
 
An den Donnerstagabenden war Papa zweimal jedes Monats im Club in den schönen Räumen des Breslauer Zwingers.
Wir Jungen freuten uns stets auf dieses Ereignis, weil wir uns dann als unser "Clubessen" ein kleines Lieblingsgericht bestellen durften. Fast immer fiel die Wahl auf die leckeren Wiener Kaiserschmarren oder auf die nicht weniger gute warme Apfelsuppe. Wir hielten an diesem Brauch fest, bis wir das Elternhaus verließen. Mama spielte mit uns Gesellschaftsspiele oder ließ uns allerhand Ulk treiben. Heinz zeigte dabei sein schauspielerisches Talent und karikierte seine Lehrer und Schulkameraden oder unsere Tanten und Onkel. Alte Röcke, Hüte und Plaids halfen hierbei mit. Zuweilen auch erzählte uns Mama von unseren Anverwandten. Niemals erfuhren wir Schwächen von ihnen, sondern stets nur liebenswerte Eigenschaften, die sie uns näher brachten. Und auch von ihrer italienischen Heimat erzählte sie uns. Die herrlich blaue und sonnige Adria, Triest mit seinen vielen Fremden Schiffen, der Fisch- und Austernmarkt, der Föhnsturm und die eisige Bora der Nordwind im Winter, vom rauen Karst her waren uns
feststehende Begriffe geworden, ebenso wie Neapel mit dem Vesuv und Rom mit seinen alten Bauten und der Peterskirche.
Zuweilen spielte uns Mama etwas auf dem Klavier vor. Groß war ihr Repertoire ja nicht und die drei italienischen Volkslieder oder "Die schöne blaue Donau" wurden stets mit freudigem Hallo begrüßt. Noch größer aber wurde die freudige Stimmung, und auch bei Mama selbst, wenn immer an denselben Stellen das Klavier anders tönte, als die Noten es wollten. An diesen Abenden erzählten wir Mama zuweilen von unseren Schulnöten und Streichen. Wir gaben ihr einen Vorbericht und prüften seine Wirkung, ab alles auch für Papas gestrengere Justiz geeignet sei. Für uns Jungens war es verhängnisvoll, dass Papa die Ansicht vertrat, dass Schularbeiten überflüssig seien, wenn man in der Klasse gut aufgepasst habe. Wir waren aber nicht solche Musterschüler und erfüllten die Vorraussetzungen nur mangelhaft, fühlten uns durch Papas Auffassung in unserer Faulheit nur bestärkt und erreichten zweimal nicht die Versetzung, bis wir überzeugt waren, dass Fleiß eine unumgängliche Gewohnheit zu sein hat.
 
Gern ließen wir uns auch aus Mamas über uns geführten Tagebuch vorlesen. Die darin sorgsamst verzeichneten Angaben über unsere Geburtsstunde, über unsere Körpergewichte in den ersten Monaten und Jahren, das Erscheinen der ersten Zähne, die Tauffeiern, der erste Schultag, die erste Klavierstunde, die Versetzungstermine, gemachte Beobachtungen an uns und besondere Äußerungen von uns, Schulausflüge, Masern und noch viele andere Aufzeichnungen fanden immer wieder unser größtes Interesse. Mama hat ihr Tagebuch über uns bis zu den Geburtstagen ihrer Enkelkinder fortgesetzt.
 
Mama ist uns eine urdeutsche Mutter gewesen, begeistert für ihr neues Vaterland und für sein Kaisertum, dessen Gründung und Ende sie erlebt hat.
Mit Stolz erzählt sie, dass alle ihre vier Jungen als "Pracht- und Ausstellungskinder" geboren worden seien, auch der kleine Georg, der wegen seines angeborenen Herzfehlers nach 5 Monaten uns wieder genommen worden war.
 
Ich wurde in Breslau, Schweidnitzer Stadtgraben 26, pt. Am 28. Dezember 1867 um 11 Uhr 25 Minuten mittags geboren.
 
Von meiner früh sich zeigenden musikalischen Veranlagung versprachen sich meine Eltern zunächst sehr viel. Ich soll mit 3 Jahren bereits Lieder und gewisse Opernmelodien so genau gekannt haben, dass ich mit unfehlbarer Sicherheiten den kommenden Schluss derselben 10 bis 20 Takte vorher unter Zeichen eigener Freude angezeigt habe. Die gute Veranlagung erhielt in der entscheidenden Zeit leider nicht die bestmögliche Förderung und Durchbildung. Bei allen musikalischen Empfinden und innersten Freude an der Musik blieb ich weit hinter den auf mich gestellten Erwartungen zurück, obgleich ich die Melodien nach dem Gehör schneller als durch Noten fand und alles alsbald mühelos auswendig spielte. Das Notenlesen hat mir immer Schwierigkeiten gemacht, auch in reiferen Jahren, als ich nochmals versuchte, es besser zu lernen.
 
Meine musikalische, wie auch die dichterische Veranlagung habe ich von meinem Vater geerbt. Dieser hatte sie von seiner Mutter und ich habe sie an Erhard weitergegeben. Von meinem Vater war nicht auf mich seine mathematische Veranlagung übergegangen, wohl aber auf meinen Bruder Walter. Sie ist dann wieder bei unserem Helmut zu Tage getreten und hat ihm bei seinen Lehrern und Mitschülern Anerkennung und ihm selbst Freude gebracht. Die vorzügliche rechnerische Veranlagung seiner geliebten Mutter hat m.E. bei Helmut die bei mir latent gebliebene mathematische Anlage wieder ausgelöst.
 
Erbbedingt war bei mir auch das schon in frühen Jahren sich zeigende Interesse an der Medizin und der Drang, an alles heranzukommen, was auf naturwissenschaftlichem Gebiet gelegen war. Ich hielt mir im kleinen Schuppen im Hof unseres Hauses Tiere aller Art, züchtete aus Froscheiern Frösche und entwickelte durch Ernährung/Kälte und Wärme/Experimente Abarten in Farbe und Größe. Ich sammelte die Eier fast sämtlicher europäischer Vogelarten, ferner Käfer und Schmetterlinge, Mineralien und Versteinerungen aus Kiesgruben. und Steinbrüchen und freundete mich mit den Tieren im Breslauer Zoo ebenso an wie mit den zuweilen dort vorgeführten exoti-schen Gästen, Nubiern, Lappen, Eskimos oder Indern und Indianern, den Liliputanern oder anderen menschlichen Abnormitäten. Selbstverständlich hatten auch die in Papas Sprech- und Studierstube in offenen Regalen bereit stehenden medizinischen Bücher und Atlanten eine ungeheuere Anziehungskraft auf mich. Ich zeichnete erst das Knochengerüst des Menschen ab, b
ald aber auch die inneren Organe und war von diesen Offenbarungen ebenso fortgerissen wie von den Wundern erster menschlicher Entwicklung. Zur damaligen Zeit erschien in einzelnen Liefe-rungen die erste Auflage von "Brehms Tierleben". Staunend und hingerissen von der darin geschilderten Entwicklungsgeschichte der Menschheit und von den Lehren vergleichender Naturwissen-schaft, erschienen mit die zu leistenden Schularbeiten un-interessant und nüchtern zum unbedingten Nachteil für mich, da in der damaligen Zeit die Naturwissenschaften auf dem humanistischen Gymnasium ebenso als Stiefkind galten und be-handelt wurden wie Sport und Turnen. Aber gerade zu diesen allen fühlte ich mich unwiderstehlich hingezogen, ohne da-durch Anerkennung oder gar Vorteil für mich zu haben, wie das heute der Fall sein würde.
 
Meine medizinischen Kenntnisse wollte ich natürlich an meine Klassenkameraden weitergeben. Ich las daher, ich war Quartaner, in den Pausen meine "Collegs", die sich einer großen Beliebtheit erfreuten, bis mir meine vermeintliche "venia docendi" nach notpeinlichem Verhör vor dem Direktor durch meinen Ordinarius brutal entzogen wurde. Eine Frau Philipp hatte sich sorgenvoll an den Schulgewaltigen gewandt und ihm klagend geschrieben, dass ich ihren Sohns, ja, die ganze Klasse total verdürbe. An Papa bekam ich einen Brief mit.
Nach feiger Gedanken bänglichem Schwanken und gedrängt von dem nach der Aushändigungsquittung verlangenden Ordinarius dem strengen stets im Diskant sprechenden Herrn. Dr. phil. Hoffmann übergab ich endlich am fünften Tage das Schreiben, auf dem Papa neben seinen Titeln und Würden auch als Kurator des von mir beglückten Johannes Gymnasiums verzeichnet stand.
Papa las das schreiben einmal, zweimal und sagte dann zu mir in ungewohnt ernstem Ton, der mir aber gar nicht ernst vorkamt "So etwas habe Ich von Dir doch nicht gedacht!"
Nach dem vorausgegangenen Wortschwall meines Direktors und nach dem noch schlimmeren meinen Ordinarius musste ich einen vernichtenden Bericht über die gewählten Themen und über mich befürchten. Der "hochzuverehrende Herr Professor" war aber nur gebeten worden, mir den Zutritt zu seiner Bibliothek zu verbieten, weil ich meine daraus entnommenen Kenntnisse an meine Mitschüler weitergegeben hätte und daran deren Eltern Anstoß genommen hätten. Ich empfand ja sogleich, dass Papa gar nicht so ärgerlich über mich war und als ich ihm zeigen musste, an welche Bücher und Bilder ich mich herangewagt hatte, da folgte ein befreiendes homerisches Lachen seiner-seits. Am Tage darauf bekam der fromme Philipp von mir und zweien meiner ehemaligen begeisterten "Schüler" ungehemmte Prügel, die wiederum einen Brief der Frau Philipp voller Klagen über mich an den Direktor auslösten und mir zwei Stunden Arrest einbrachten. Als ich sie beichtete, sagte Papa kein Wort zu mir. Ich aber empfand, dass er ganz auf mei
ner Seite stand. Das wurde mir am nächsten Tage zur Gewissheit als er von mir wissen wollte, ob die Prügel auch gut gesessen hätten.
 
Papa hat bestimmenden Einfluss gehabt, dass ich die Offizierslaufbahn ergriffen habe.
Bei meiner erbbedingten Veranlagung für Medizin und Naturwissenschaften hätte ich Mediziner werden müssen. Aber gerade im entscheidenden Jahr fehlte mir die unwandelbare Zielstrebigkeit, wie sie bei unserem Erhard immer und immer vorhanden gewesen ist. Auch war mein Interesse an den trockenen Schuldisziplinen stark erlahmt. Dazu kam, dass meine beiden Vettern, Hans und Walter v. der Hardt, als Fähnriche und Offiziere nicht nur durch ihr zweierlei Tuch die Weiblichkeit, sondern auch mich restlos begeisterten und dass sie mir zu sicherten, ihnen gleich zu werden, wenn ich ihnen nachfolge. Papa hatte damals gerade erbitterte Auseinandersetzungen mit der jüdischen Ärztegemeinschaft in Berlin und der total verjudeten Breslauer Universität wegen seiner bekannt werdende Kresot-Therapie. Schon damals war sich Papa bewusst, dass diese Angriffe gegen ihn deswegen so impertinent waren, weil seine politische Einstellung, wie sie sich in den von ihm unterzeichneten Wahlaufrufen zeigte, sich auch gegen
das Judentum richtete. Und gerade wegen der jüdischen Konkurrenz hatte mir Papa manchmal mehr, manchmal weniger, aber doch immer abgeredet Arzt zu werden.
Und noch ein anderer Moment kam hinzu. Papa war in seinem Füh-len und Denken Soldat und ein begeisterter Anhänger der Armee. Er kannte das Generalstabswerk über den Krieg gegen Frankreich von 1870/71 ebenso genau wie jeder aktive Offizier in damaliger Zeit.
(Sein Schwager, Ernst v. der Hardt, der Mann seiner Schwester Elisabeth war darin wegen seiner besonderen Tapferkeit in der Schlacht bei Wörth namentlich erwähnt, - eine seltene Gepflogenheit des Gen. Werks).
Und als einmal Papa bei einer Gesellschaft In Breslau einen sehr netten Feldartillerie-Oberst kennengelernt hatte, der für sein Regiment Offiziersanwärter aus bekannten schlesischen Familien suchte, da wurde diese Begegnung zur Sternenstunde meines Lebens. Ich wurde Offizier.
 
Ich habe diesen Entschluss niemals ganz überwinden können. Ich bin aber doch durchmeinen Beruf stets voll befriedigt worden, solange ich ihm in Friedens- und Kriegszeiten ange-hört hatte.
Es ist mir in ihm stets gut ergangen. Interessiert für den abwechselungsreichen Artilleriedienst, der immer auf guten, schnellen Pferden ausgeübt war, bereits nach 2 ½ Jahren zum Adjutant ernannt und vier Jahre in dieser bevorzugten Stellung belassen, jung Hauptmann und Chef geworden einer musterhaft guten, mir treu ergebenen Batterie, stets in angenehmem Verkehr mit meinen Vorgesetzten und Kameraden und zuletzt der Kommandeur an den Brennpunkten der Westfront eines sich in hervorragender Tapferkeit bewährten Regiments hatte ich innere Befriedigung. Ich habe ferner 2 bei meiner Waffe beliebte Bücher 7 Jahre lang herausgegeben, die auszugsweise mit meiner Genehmigung für die argentinische Armee übersetzt worden sind
Ich habe auch als Regimentskommandeur nur immer beste Erfahrungen mit den mir gern folgenden Unteroffizieren und Mannschaften gemacht. Auch in und nach den Revolutionstagen änderte sich nichts in dem guten Verhältnis zwischen uns. (Einschließlich der Munitionskolonnen unterstanden mir annährend zweitausend Mann.) Es war sicher ein gutes Zeichen, dass, um mich zu erfreuen, auf jedem Geschütz eine schwarz-weiß-rote Fahne angebracht worden war. Ich glaubte, meinen Augen nicht trauen zu können, als mir die geliebten Farben eines Tages im November 1918 überraschend entgegenwehten, die uns dann vier Wochen lang auf unseren Märschen durch Frankreich, Belgien und Luxemburg begleiteten.
Erst die "roten" Elemente in der Heimat nahmen sie uns herunter. Wir standen im schärfsten Gegensatz zu manchem bereits draußen "rot" gewordenen Infanterie Regiment, an dem wir vorbeikamen, aus dem uns Offiziere mancher gemeine Zuruf treffen sollte.
Den Soldatenrat, den ich auf Befehl der neuen Regierung und auf Anordnung Hindenburgs neben mich eingesetzt hatte, bat man mich, wieder aufzulösen. Als ich hiervon nichts wissen wollte, bildete ihn mir mein Regiment aus denjenigen Mannschaften, denen ich durch Dienst oder Frontkameradschaft näher getreten war und die ich besonders gern hatte. Obgleich ich mich vor jeder Bevorzugung gegen andere gehütet hatte, zeigte es sich doch auch hier wieder, dass der Untergebene ein sehr guter Beobachter seines Vorgesetzten ist. Ich war streng, aber gerecht, doch lies ich zu gegebener Zeit die Zügel lockerer, konnte außer Dienst das Vorgesetztenverhältnis vollkommen vergessen und hatte das Vertrauen aller. Das alles habe ich mir selbst jeweils vorgehalten, um Äskulap zu vergessen.
 
Sehr viel weniger Hemmungen hatte Heinz zu überwinden gehabt. Mit vollen Segeln strebte er der Offizierlaufbahn entgegen. Selbstverständlich trat er in meinem Regiment "als Anwärter mit Aussicht auf Beförderung zum Offizier" ein, wie es damals hieß. Unser Felda. Rgt. V. Clausewitz, mit den Garnisonen Neiße, Grottkau, Neustadt, Oberschlesien, hatte die Eigentümlichkeit, dass außer mir und Heinz in ihm gleichzeitig noch weitere vier Brüderpaare standen, die Brandt, die Krampff, die Eberhard und die v. Rudzinski. Die Väter der Kameraden waren entweder Gutsbesitzer, Akademiker oder ehemalige Offiziere.
Mit Heinz habe ich mich stets ausgezeichnet verstanden, obgleich wir beiden Brüder "grundverschieden" von klein an gewesen sein sollen. Wir wichen aber eigentlich nur im Grad unseres Empfindungslebens von einander ab. Heinz war der robustere, auch körperlich. Er war ein herzensguter Mensch, klug, witzig, ehrgeizig und allgemein beliebt, aufopfernd in seiner Freundschaft und treu, ein großer Lebensbejaher und den Freunden der Tafel außerordentlich zugänglich. Er war "ein rührend guter Sohn", wie ihn Mama stets bezeichnet hat. Heinz besaß die Herzensgüte und Klugheit aus dem elterlichen Erbgut, nicht aber so sehr auch die besondere Feinfühligkeit und Feinnervigkeit der mütterlichen Seite.
 
So kam es, dass er als ganz junger Leutnant im Jahre 1896 von Grottkau nach Saarlouis/Saarlautern versetzt werden musste, weil er es unternommen hatte, die Duellforderung eines Regimentskameraden an einen Gutsbesitzer zu überbringen. Das hätte nicht geschehen dürfen, wenn Heinz erkannt oder gefühlt hätte, dass der in seiner Ehre Verletzte der Gutsbesitzer und nicht der Leutnant gewesen war.
Seine jugendliche Unkorrektheit hatte man ihm aber im neuen Regiment bald verziehen und vergessen. Es blieb nur für Mama und uns Brüder das betrübliche Bewusstsein zurück, so weit von Heinz getrennt zu sein und ihn nur selten wiedersehen zu können.
 
Schon nach zwei Jahren darauf sollte er Abteilungs-Adjutant werden, ein sicheres Zeichen dafür, dass seine Tüchtigkeit in den neuen Verhältnissen sich durchgesetzt hatte und dass man seinen anständigen Charakter als Mittler zwischen Kommandeur und dem diesen unterstellten Offizierskorps verwenden wollte. In letzter Stunde kam es aber anders und zwar wieder nur durch seine eigene Schuld. Nach der sehr gut verlaufenen Besichtigung seines Regiments durch den Kommandierenden General fand vor diesem eine Cabaret-Vorführung statt, ähnlich den Aufführungen in der gesamten Artillerie am Barbaratage, ihrer "Schutzheiligen". Heinz trug selbstverfasste Couplets und Chansons vor, voller witzigen Anzüglichkeiten auf Kameraden und Begebenheiten. Leider versagte sein sonst fein und liebenswürdig wirkender Humor und Witz einem im Regiment unbeliebten Hauptmann gegenüber. Der Hieb gegen ihn saß so stark und war so drastisch und deutlich, dass der schwer gekränkte Hauptmann disziplinarische Bestrafung forde
rte. Diese erreichte er zwar nicht. Am nächsten Tage aber, an dem die Ernennung zum Adjutanten ausgesprochen werden sollte, eröffnete der Regimentskommandeur unserem armen, aus allen Himmeln fallendem Heinz, dass er wegen des in Frage stehenden Vorfalls statt einen anderen Offizier zum Adjutanten habe ernennen müssen.
Seiner Beliebtheit im Regiment und in der Garnison hat diese Enttäuschung nicht geschadet, aber verschmerzen hat er sie niemals gekonnt.
Heinz war sein Felda. Regiment von Holtzendorff (l. Rheinisches) Nr. 8 sehr ans Herz gewachsen. In ihm hat er vom Frühjahr 1896 bis zum Ausspruch der Mobilmachung 1914 frohe und erfolgreiche Jahre als Leutnant, Oberleutnant und Hauptmann verlebt. Er war der Batteriechef der von ihm musterhaft geführten und ihm treu ergebenen 3. Batterie. Vom Beginn des Weltkrieges bis Anfang Mai 1915 war er Kommandeur der II. Munitions-Kolonnen Abteilung des XXI. Armee Korps, das an der Westfront kämpfte.
Am 10. Mai 1915 wurde er zum Abteilungskommandeur der I. Abt. seines Felda. Rgt. 8 ernannt, die bei Augustowo (Russland) im Stellungskampf stand. Er führte seine Abteilung bis zum Sommer 1917. Krankheitshalber war er anschließend einige Monate Kommandeur einer Munitionsverwaltung einer Etappeninspektion. Wiederhergestellt, wurde er Abteilungskommandeur der II. Abteilung Felda. Rgts. Nr. 46 und bald darauf stellvertretender Regimentskommandeur dieses Regiments. Im Frühjahr 1918 wurde er zum Kommandeur des Felda. Rgts. 213 ernannt. Im Weltkrieg stand Heinz während der ersten 10 Monate an der Westfront, dann in Russland und in Rumänien.
Nach dem Krieg war er der sehr verehrte und beliebte Vorsitzende der Offizier- und Mannschaftsvereinigungen vom Regiment von Holtzendorff. Er schrieb dessen Geschichte und brachte sie im Februar 1931 heraus. Nach Sachlichkeit, Umfang und Ausstattung ist sie eine der besten veröffentlichten Regimentsgeschichten.
Heinz heiratete am 22. Juni 1910 Helene Engelhard aus Frankfurt/M. Seine Ehe ist kinderlos geblieben. Sie war glücklich. Von 1919 bis 1931 lebte Heinz in Lohr/M., wo seine Frau von ihrem Onkel Friedrich Fay auf dem Valentinusberg eine Villa mit großem Obstgarten geschenkt bekommen hatte.
Von Lohr/M. siedelte Heinz nach Garmisch über. Nach dem Aufenthalt im kleinen fränkischen Städtchen und dem Leben in landwirtschaftlicher Betätigung wollte das Ehepaar wieder mehr Kultur und Anregung um sich sehen. Ihre Villa auf dem Valentinusberg verkauften sie und fanden in Garmisch, Waxensteinstr. 1 in der 1. Etage einer Villa eine ihnen sehr zusagende Wohnung. Bald nach der Umsiedlung stellten sich bei Heinz leider die ersten Zeichen des Nachlassens seiner bis dahin so guten Gesundheit ein. Eine Nierenerkrankung begann sich merkbar zu machen, der er in seinem 63. Lebensjahr, am 18. Juni 1933 erlegen ist. Sie war auch die gleiche Todesursache bei unserem Vater und unserem Bruder Walter gewesen.
 
Im Kreise von nachmittags bei ihm zu Gaste weilenden guten Freunden, im Lehnstuhl sitzend, ist er plötzlich friedvoll und kampflos entschlafen, während der Unterhaltung.
 
Auf dem landschaftlichen so schön gelegenen Friedhof von Garmisch, hinschauend nach den herrlichen Bergen hat er seine letzte Ruhestätte gefunden, an der Stelle, die er selbst noch für sich ausgewählt hatte.
 
Ich und Heinz waren in unserem Beruf "selfe made man". Seit unserem Ur-Urgroßvater, dem Oberpfarrer und Superintendanten in Peitz i. Lausitz, sind alle unsere Ahnen von Vaters Seite her Akademiker gewesen. Dadurch fehlte uns die berufliche Tradition. Alle Vorteile, die sich daraus ergeben hätten, gingen uns verloren. Erfahrungen konnten nicht von uns übernommen, sondern mussten mit Lehrgeld erst neu gesammelt werden. Bis sie sich auswirken konnten, verpassten wir Zeit, die von erfahreneren Kameraden besser und zielbewusster ausgenutzt werden konnte als von uns in den entscheidenden Jahren bis zum Hauptmannspatent.
 
1889
Am 21. September 1889 war ich zum "Seconde-Lieutenant" befördert worden. Am 1. Oktober zog ich mit der neu aufgestellten III. Abteilung meines Felda. Rgts. Von Clausewitz, vom Schiessplatz Lamsdorf kommend, in unserer neuen Garnison Neustadt O/S ein. Wir lösten die 6. Husaren ab, die seit den Befreiungskriegen inmitten der überaus militärfreundlichen Einwohner hier gestanden hatten. Das neue erwies sich auch bei uns wieder als das Begehrenswertere; die gesamte Bürgerschaft schwenkte sogleich zu uns über und bemühte sich, ihren Frontwechsel unter Beweis zu stellen. Bei den Familien in der Stadt und Land, wo wir den Verkehr aufnahmen, entzückte uns die bekannte, oberschlesische, große Gastfreundschaft. Bei der gesamten Bevölkerung war der österreichische Einschlag unverkennbar; sie war lebensfroh und liebenswürdig und nahm das Leben von seiner besten Seite. Auf dem Marktplatz zeigte der Brunnen noch immer den Habsburgischen Doppeladler und plätscherte wie schon zu Zeiten Maria-Theresias das
Wasser in sein hohes Becken, und nach der österreichischen Grenze ritten wir nur 20 Minuten, wenn man trabte.
Nach der strengen Fähnrichzeit auf der Kriegsschule Anklam und auf dem einsamen Schiessplatz Lamsdorf nahm ich den romantischen Kleinstadtzauber willigen Herzens in mich auf. Dazu kam die schöne nahe und weite Umgebung von Neustadt, die mit der Umgebung von Wiesbaden Ähnlichkeit besitzt. Die nahen Berge aber erheben sich bis zur 800 m hohen Bischofskoppe und das entfernte Altvatergebirge trug auch im Juni noch Schnee, dessen weite Flächen aus dunklen Tannenwäldern weithin leuchteten.
 
1891/92
 
Ich fühlte mich in jeder Beziehung wohl in Neustadt. Dann kam nach den ersten beiden Jahren strammen Dienstes als Rekruten-Offizier mein Kommando für 6 Monate nach Berlin zum letztmaligen, abgekürzten Kursus der vereinigten Artillerie- und Ingenieurschule.
In diese Zeit fiel am 14. März 1892 der 25. Hochzeitstag meiner Eltern, den sie mit mir zusammen feiern kamen, um in Breslau den vielen Gratulanten auszuweichen. Papa fühlte die ersten Anzeichen nachlassender Spannkraft.
Unmittelbar daran anschließend erfolgte im Mai 1892 meine Ernennung zum Adjutanten der III., detachirt in Neustadt stehenden Abteilung meines Felda. Rgts. Von Clausewitz (1.Oberschlesischen) Nr. 21. Anschließend an diese vierjährige, schöne Zeit werde ich nach Neiße, der Stabsgarnison unseres Rgts., versetzt und stand dort von Oktober 1895 bis Oktober 1899, auch hier wiederum in dienstlich, kameradschaftlich und gesellschaftlich angenehmsten Verhältnissen.
 
1896
 
Im September 1896 erhielt ich meine Beförderung zum "Premier-Lieutenant".
 
1897
 
Ab Februar 1897 war ich auf 4 Monate zu Felda. Schiessschule kommandiert.
 
1899
 
Das Jahr 1899 brachte meiner Waffe die große Vermehrung, wodurch bei uns in Oberschlesien ein neues Rgt. Entstand, das aus der bisherigen III. Abt. Nr. 21 in Neustadt und einer im nahen Oberglogau neu aufgestellten Abteilung gebildet wurde und die Bezeichnung: Zweites Oberschlesisches Felda. Rgt. Nr. 57 erhielt.
In dieses Rgt. Werde ich am 1.10.1899 von Neiße aus versetzt.
 
1900
 
Meine Garnison wird also wieder Neustadt, bis ich am 1. Oktober 1900 zum Hauptmann und Batteriechef befördert werde und die 6. Batterie in Oberglogau erhalte.
 
1902
 
Dorthin folgte mir meine geliebte Frau und in diesem Nest, der an Kleinheit und Primitivität nicht mehr zu unterbietenden Garnison, verbringen wir, in ihrer sog. Schönsten Villa, über dem Offizierscasino wohnend, das erste glückliche Jahr unserer weiteren so glücklichen Ehe.
 
1903
 
Als am 1. April 1903 die Oberglogauer Abteilung nach Fertigstellung der neuen Kasernen nach Neustadt verlegt wurde, da halte ich zum zweiten Male mit meiner Truppe meinen festlich, von der Stadt gegebenen Einzug in deren Mauern. Ich war der einzige Offizier im Regiment, dem das widerfuhr. In seiner Festrede erwähnte es besonders der Oberbürgermeister Engel und begrüßte mich als "alten Neustädter" äußerst herzlich.
Mit der Hauptmannwürde brachte ich jetzt meine geliebte junge Frau und mein erst wenige Wochen altes Töchterlein mit. Im Hause Promenade 6, einem mehr durch Grundriss als durch Ausstattung grosstädtischen Neubau, finden wir die uns zusagende Unterkunft. Einzigartig schön ist der Blick über die bis zum Wald am Fuße der Vorberge reichenden ausgedehnten Promenadenanlagen und die Fernsicht am Gebirge entlang, wohl 20 Kilometer weit, über die wie ein Garten anzuschauende Landschaft.
Die kommenden 10 ½ Jahre bringen uns einen sehr großen Zuwachs unseres Glückes, werden uns hier doch unsere drei Jungen geboren. Wie freudig und beseligt hatte Mieze sie mir geschenkt, unbekümmert darum, dass deren Ankunft nicht für spätere Termine abgewartet worden war, mutig und tapfer die verdoppelte Mühe und Arbeit auf sich nehmend, wenn jeweils immer zwei Kinder mit nur zwölfmonatigem Altersunterschied liebevoll zu betreuen waren.
In dem durch Höhenlage und die nahen Tannenwälder gesunden Klima wachsen unsere vier "Pracht- und Ausstellungskinder" vortrefflich heran. Sie lassen uns vergessen, dass wir in der Kleinstadt kulturell auf sehr vieles verzichten mussten, was sonst das Leben verschönt und angenehm macht.
In diese Zeit fällt die schwere Erkrankung und der Tod am 17. Mai von Miezes Vater.
 
1912
 
Während der 12 Jahre, in denen ich Chef meiner 6. Batterie war, hatte ich niemals die geringste dienstliche Enttäuschung. Meine sämtlichen Mannschaften waren vom dritten und vierten Jahre an meiner Batteriechefzeit nur Freiwillige. Sie kamen aus bestimmten schlesischen Dörfern und stellten mir jedes Jahr stets wieder neue Freiwillige. Hierdurch wurden anerkannte Höchstleistungen leicht erreichbar. Meine Unteroffiziere haben mich lange Jahre über dem Weltkrieg hinaus an ihrem Ergehen teilnehmen lassen.
 
1913
 
Nachdem ich ein Jahr "Überzähliger Hauptmann" beim Stabe meines Regiments 57 im Anschluss an meine Batteriechefzeit gewesen war, wir meine neue Garnison Posen. Hier bin ich im 1. Posenschen Felda. Rgt. Nr. 20 Major beim Stabe.
Auch hier wieder nur angenehme dienstliche und kameradschaftliche Verhältnisse. Die Stadt selbst ist nach Ruf und Wirklichkeit ein "kleines Paris", und wird als Bollwerk für deutsche Kultur und als Wahrzeichen kaiserlicher Macht gegen das sich wieder regende, zusammen mit dem Katholizismus heimlich gegen Deutschland schürende Polentum in jeder Weise von der Reichsregierung bevorzugt und versorgt. Die imposanten neuen Bauten um die hochragende, trutzige Kaiserpfalz, (die Akademie, das Theater, die Ansiedelungskommission, das Regierungspräsidium, die Oberpostdirektion) zeigen unseren Willen, nicht mehr von hier zu weichen.
 
1914
 
Schon am 21. März 1914 werde ich als Major und Abteilungskommandeur nach Metz versetzt, wo selbst ich die I. Abt. Felda. Rgts. Nr. 34 erhalte. Ich hatte die Wahl zwischen Bromberg und Metz gehabt. Sie fiel mir nicht schwer. Der Westen war schon lange mein erstrebenswertes Ziel gewesen, nicht zuletzt wegen der klimatischen Bevorzugung gegen den Osten.
 
März 1914
 
Wie anders als Posen wirkte Metz auf mich ein! Ich schien mir bereits in Frankreich zu sein, so fremd wirkten Menschen, Bauten, Sprache und Klima auf mich ein. Posen hatte ich bei 10 Grad Kälte verlassen, hier blühten schon Seidelbast und Veilchen und die Menschen promenierten in Frühjahrskleidung im warmen Sonnenschein auf den Straßen und den schönen Anlagen längs der Mosel.
Teils durch die besonderen Verhältnisse als Grenzkorps gegen Frankreich, teils aber auch aus zunächst noch unerkannten Gründen, war der milit. Dienst hier angespannter als im Osten. Es gab dadurch viel Abwechselung. Bulgarische oder österreichische Offiziersabordnungen erschienen, denen Gefechte vorgeführt wurden. Unter Leitung des Kronprinzen fand eine große Generalstabsreise mit Metz als Mittelpunkt statt, und der Kaiser, von Korfu und seinem märchenhaft schönen Schloss dort, kommend, weilte hier und besichtigte die in der Stärke von 1 ¼ Armee-Korps garnisonierenden Truppen in einer großen Gefechtsübung mit anschließender Parade. Metz hatte die modernsten Forts und seinen "Zeppelin", der eine besondere milit. Sehenswürdigkeit damals galt.
 
Unvergesslich wird es mir immer bleiben, mit wie großem Interesse unser 10 Jähriges Hansel allen militärischen Eindrücken folgte und wie passioniert und stramm er infanteristische Griffe und Bewegungen im Garten unserer Villa, Parkstr. 11, nachzumachen verstand. Ich glaube gern, dass sich daraus ein tieferes militärisches Interesse würde entwickeln können.
 
Mai 1914
 
Langsam zieht der Weltkrieg herauf, ohne den Unkundigen zu warnen. Schon Anfang Mai 1914 übersiedelt mein Regiment nach dem Truppenübungsplatz Bietsch in den Vogesen, um seine vierwöchige Schiessübung abzuhalten. Was ich bisher niemals hinausgeschoben hatte, das hole ich hier, nachdenklicher durch die mir fremden Verhältnisse geworden, beschleunigt nach, was ich schon in Neustadt gewollt hatte. Ich versichere mich bei der Leipziger Lebensversicherung A.G. auf RM 100.000 ,--, um hierdurch auch noch ein Mehrer unseres Kapitals gewesen zu sein, wie das mein Vater und Schwiegervater ja auch gewesen sind. (s.: meine Denkschrift: "Soll und Haben").
 
August 1914
 
Sofort nach Ausspruch der Mobilmachung am 1. August 1914, 16 Uhr, eilte ich in die Kasernen meines Regiments, da meine Abteilung zu denjenigen kleineren Einheiten gehört, die schon 6 Stunden darauf den artilleristischen und infanteristischen Grenzschutz zu übernehmen hatten. Bereits am 1. August 1914, um 10 Uhr abends, muss Mieze mit den Kindern die Festung verlassen. Ihr Ziel ist Frankfurt/M. Ein letztes Wiedersehen am Zuge wird möglich, weil das Metzer XVI. Armee-Korps aufgrund zunächst geheim gebliebener Befehle erst am 17. August zur Umfassung von Verdun vorzumarschieren hatte.
Am 22. August kommen wir in erste Berührung mit dem Feind. Die schweren Grenzschlachten beginnen.
Am 24. August erhalte ich und meine I. Nr 34 bei Bouvigny die Feuertaufe im Artillerieduell mit schweren franz. Batterien.
 
September 1914
 
Am 1. September überschreiten wir am frühen Morgen die Maas. Die Schlacht bei Dannevoux unweit des Flussufers entbrennt bei glühender Sommerhitze und wird zur schwersten Schlacht für mein Regiment und mich im Weltkriege.
Mein XVI. Armee Korps erst teilweise übergesetzt und noch nicht entfaltet wir konzentrisch von zwei feindlichen Armee-Korps angegriffen, um in und über die Maas zurückgeworfen zu werden. Am Abend war der Ring um uns mit dem Fluss im Rücken durch uns gesprengt.
Ja diesen beiden ersten Tagen hatte mein Regiment 17 tote oder verwundete Offiziere, 62 t. oder v. Unteroffiziere, 112 t. oder v. Mannschaften, 191 t. oder v. Pferde.
Ich erhielt das Eiserne Kreuz II.
Und dann folgen bis zum bitteren Kriegsende weitere 218 Schlachten und Gefechte. Die dienstlichen Ausweise und die Regimentsgeschichte wie auch meine Personalpapiere geben hierüber genauere Kunde.
Für mich gliederte sich meine Tätigkeit im Weltkriege in zwei Abschnitte, je nachdem ich als Abteilungskommandeur oder ab September 1916 als Regimentskommandeur meine mir unterstellte Truppe geführt habe.
Als abt. Kdeur. von I./34 halte ich nach den Grenzschlachten und den Kämpfen um Verdun und Varennes mit meinen drei Batterien den Schlüsselpunkt für die östlichen Argonnen, Vaugois, unweit Varennes. Die gesamte Front ist von jetzt ab zum Stellungskampf erstarrt.
 
Oktober 1914
 
Als ich vier Jahre später mein Regiment 269 (S. 76) unweit Varennes ins Feuer führe, fallen noch immer genau wie einst die schweren Einschläge auf den hochrangigen Berg und liegen über ihm die weißen Wolken platzender Schrapnells, nur dass vom Dorf Vauquois nichts mehr zu sehen ist. Der Feind hat diese Stellung niemals bezwingen können!
 
Februar 1915
 
Der am 17. Februar 1915 von den Franzosen mit 7 Regimentern auf Vauquois angesetzt gewesene Großangriff nach dem überhaupt ersten Trommelfeuer im Weltkrieg bricht unter schwersten Verlusten für den Feind zusammen. Der Kommandierende General von Mudra überbringt mir persönlich in der darauf folgenden Nacht als erstem Offizier meines Regiments das Eiserne Kreuz I. oben auf Vauquois.
 
April 1915
 
Am 30. März 1915 werde ich als Abteilungskommandeur zum neu aufgestellten Felda. Rgt. 237 versetzt und erhalte die I./237. Mit mir treten vom alten Rgt. 34 für den kommenden Bewegungskrieg besonders geeignet erschienende Offiziere, Mannschaften und Pferde über. Wir gehören zur Armee des Feldmarschalls v. Mackensen, die sich in und um Mörchingen formiert. Mein Rgt. 237 gehört zur 119. Infant. Division.
 
Mai 1915
 
Am 2. Mai 1915 stehe ich in der großen Durchbruchsschlacht durch die russische Front bei Gorlice-Tarnow. Eine soldatische unvergleichlich schöne Zeit nimmt hier ihren Anfang. Wir treiben unaufhaltsam bis in den Oktober die Russen vor uns her. Infanteristisch wehrt er sich heldenhaft. Seine Artillerie ist zwar gut, ist jedoch ohne Ersatz für die vielen Ausfälle geblieben und es mangelte ihr an Munition.
 
Unvergesslich jener Nachtmarsch in den ersten Maitagen über den Duklapass über die Karpathen. Neben uns die schäumende, bald von weiten Weidenbüschen umstandene Jasiolda. Vollmondschein, kein Schuss weit und breit. Und um uns ununterbrochen, stundenlang, Nachtigallensang in berauschender, alles übertönender Symphonie ohne Ende bis das Morgenrot diesen Liebestraum versinken ließ. Man vergaß, im Krieg zu sein.
 
Aber schon beginnt am nun aufsteigenden 6. Mai der besonders schwere Kampftag um die Naphtahöhe, die uns den Asutritt aus dem Gebirge verwehren sollte. Ende Mai erobern wir die galizische Festung Prezemysl. Beim Erkunden der Stellungen für meine Batterien schleudert mich der Luftdruck einer schweren, aus der Festung kommenden, russischen Granate in eine sog. Wolfsgrube. Einer der spitzen, scharfen Pfähle reißt mir ein Loch in die Stirn, doch kann ich bei meiner Truppe verbleiben. (23. Mai 1915)
 
Anlässlich der Rückeroberung von Prezemysl wird mir der K.u.K. österreichische Militärverdienst-Orden mit der Kriegsdekoration verliehen.
 
Juli 1915
 
Ende Juli erobern wir den Österreichern die schöne Stadt Lemberg zurück.
 
August 1915
 
Ende August fällt die starke Festung Brest-Bitowsk in unsere Hände, nachdem sie von den Russen vor ihrem Rückzug in ein Flammenmeer verwandelt worden war, das so weit man sehen konnte, den umwölkten Nachthimmel blutrot färbte. Weiße Blitze beleuchten jedes Mal taghell für Sekunden die Szenerie, wenn die Munitionsmagazine in der weiten Außenforts oder nahe der Stadtumwallung, von den Russen angesteckt, in die Luft flogen.
 
Im Forts. I., in dessen Hof ich mit meinen Batteriechefs nach durchwachter Nacht eine kurze Rast im weiteren Vormarsch einschalten kann, brennen noch alle elektrischen Lampen, im Samowar der Offiziersmesse dampft noch das Wasser, auf dem Esstisch stehen noch halb gefüllte Schüsseln. Wie plötzlich muss der Befehl zur Räumung dieses die Übergänge über den Bug schützen sollenden starken Werkes erteilt worden sein! Alle nicht unter Beton und Stahl aufgestellten Geschütze waren allerdings in letzter Minute in den Wallgraben hinunter gestürzt worden.
Hoch über der Stadt zog ein Zeppelin seine Kreise. Er erkundete. Er scheint uns einen Gruß aus der Heimat zu bringen.
Immer weiter folgten wir den unablässig zurückweichenden Russen. Zuweilen konnte erst nach Mitternacht gerastet und abgekocht werden.
Mein Pferd bricht unter mir an Erschöpfung zusammen und verendet wenige Minuten darauf. Nur wenige Male trat uns schwerer Wiederstand entgegen, doch häuften sich unsere Verluste in den unermesslich weiten Wäldern, die mit ihrem mit Rasen bewachsenen Untergrund englischen Parkanlagen glichen.
 
September 1915
 
Schwierig gestaltete sich auch der Durchzug durch die Pripjet-Sümpfe, die nur auf den kilometerlangen, schnurgerade hindurchführenden Strassen passiert werden konnten. Auf ihnen aber lag dauernd feindlicher, Verluste bringender Beschuss.
Bis an die Städte Minsk und Pinsk und fast bis zum Narocs-See reicht die Kraft unseres am 2. Mai bei Gorlice erfolgten, erstmalig frontal geführten Durchstoßes durch das sorgsam ausgebaute starke russische Stellungssystem.
 
Ende September wird es bereits empfindlich kalt. Ein erfolgreicher Sommer geht zu Ende. Nur viermal waren leichte Gewitter auf uns herunter gegangen. Immer habe ich in meinem Zelt genächtigt. Die Gutshäuser und Schlösser waren stets von den Russen angezündet gewesen und bis auf die Grundmauern ausgebrannt. Die Bauernhäuser, soweit sie nicht auch niedergebrannt waren, steckten voller Ungeziefer.
Die Armee Mackensen geht zum Stellungskampf über, in dem sie einen ruhigen Winter verbringt.
 
April 1916
 
Mieze siedelt mit den Kindern von Metz, wohin sie im November 1914 zurückkehrte, nach Bad Kreuznach über, weil die Angriffe feindlicher Flieger sich steigern und Metz beschossen wird. Ein Blindgänger war dicht am Ausgang das botanischen Gartens niedergegangen, dem unser Fräulein Martha ("Mume") mit Erhard und Helmut gerade eilends zustrebten.
 
August 1916
 
Ein neuer Abschnitt im Kriege beginnt für mich.
Am 26. August 1916 bin ich zum Kommandeur des neu aufgestellten Felda. Rgts. Nr. 269 durch A.K.O. ernannt worden. Mein Regiment gehört zur gleichfalls neu aufgestellten 211. Infanterie-Division. Sie untersteht dem General v. Lewinski. Während der drei Wochen, die mir zur Formierung des aus den verschiedensten Gauen stammenden Regiments verbleiben, spreche ich mit jedem Unteroffizier und Mann, sie eingehend über ihre häuslichen Verhältnisse und über ihre bisherige militärische Verwendung befragend. Der Konnex war hierdurch sofort hergestellt und blieb er auch in und nach den Revolutionstagen bis Demobilmachung am 5. Februar 1919, in Diepholz bei Bremen bestehen.
 
September 1916
 
Die Feuertaufe erhalten wir am 26. 9. 1916 bei Monchy, im Nordflügel der bereits langsam verklingenden Somme-Schlacht, nördl. Bapaume, unweit von Arras. Die Leistungen meines 2 ¼ Jahre an der Westfront kämpfenden Regiments sind in der Regimentsgeschichte festgelegt. Sie konnte nur durch die entscheidende Mithilfe der namentlich genannten Kameraden herausgebracht werden. Meine den beiden Büchern vorangestellten Geleitworte drücken das besonders aus. (s. Bücherei des Archivs)
 
Der ruhige Winter 1916/17 hierauf vor Soissone schließt mein Regiment durch Fronterfahrung, Dienst und Kameradschaft zu einem Stahlharten Block zusammen.
 
März 1917
 
Nach dem genialen strategischen Rückmarsch hierauf im Frühjahr 1917 in die "Siegfried-Stellung" von Arras bis zum "chemin des dames" mit nur leichteren Nachhutgefechten wird unserer 211. Division der ehrenvolle Auftrag, sich im Brennpunkt der zu erwartenden Kämpfe, bei Laffaux, zum hartnäckigsten Widerstand bereit zu stellen. Die gesamte Westfront verläuft von der Nordsee bis Laffaux in nördlicher Richtung. Hier schwenkt sie nach Osten zum "chemin des dames". Laffaux liegt mithin genau im Scheitelpunkt der ganzen Westfront. Wir wissen, dass uns ein wichtiger Teil anvertraut ist.
 
April 1917
 
Am Karfreitag, am 6. April 1917 beginnt die erwartete große Doppelschlacht an der Aisne und in der Champagne, und tobt auch bei Laffaux in unverminderter Stärke bis zum 18. April. Meine Batterien vollbringen dabei Wunder an Tapferkeit. Am Morgen des 16. April erhebt sich die französ. Infanterie aus ihren Gräben zum vermeintlich entscheidenden Sturm gegen uns, wie gegen unsere oben auf dem "chemin des dames", links von uns eingesetzten Nachbar-Divisionen. Der Tagesbefehl des General Nivelle feuerte sie ein letztes Mal an: "L´heure est venue! Confiance! Courage! Vive la France!"
 
Fünftausend feindliche Geschütze lassen ihren Eisenhagel 12 Tage und Nächte auf unsere Batterien und die Kampfstellungen der Infanterie niedergehen, das Feld vor ihnen in giftige Gase gehüllt und ringsherum von Granaten umgepflügt. Alle Anmarschstrassen liegen gleichfalls Tag und Nacht dauernd unter feindl. Beschuss. Nicht minder auch unsere Beobachtungsstellen und Befehlsunterstände. Munition und Verpflegung können nur durch rücksichtslosesten Einsatz aller bis zu den Feuerstellungen gelangen. Sogar die Offiziere beteiligen sich am Herbeitragen Nacht für Nacht, wenn die Pferde getroffen oder erschöpft, mit dem Munitionswagen nicht mehr bis in die Stellungen gelangen können. Kein Dank von mir und keine Anerkennung erscheint mir groß genug, wenn ich von den Batterien ihre Erlebnisse jedes Mal erzählt bekommen hatte.
Den eisernen Wall, den wir errichtet hatten, er hält auch diesem Ansturm stand!
 
Mai 1917
 
Unter unserer Abwehr versank die französische Armee vor uns in Niederlage und Entmutigung. Aber zum Gegenstoß fehlten uns jetzt die Reserven. Sie hätten uns die Kriegsentscheidung gebracht!
 
Vierzig Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften aus den Reihen des Regiments sterben für Kaiser und Reich den Heldentod. Dreiundzwanzig Offiziere, Unteroffiziere und Kanoniere erwarben sich die hohe Auszeichnung des E.K. I.
Ich erhalte das Ritterkreuz das Königlichen Hausordens von Hohenzollern mit Schwertern. (Verliehen am 28.5.1917)
 
Vortrefflich bewährte sich aber auch der im Regiment herrschende Geist bei der bald darauf in zurückverlegten Stellungen unternommenen Sammlung für die Kriegsanleihe. Das Ergebnis, an dem alle Teile beteiligt waren, betrug 106.00 ,-- Mk. und sechs Monate darauf nochmals weitere 161.00 ,-- Mk.
 
Sommer 1917
 
Bald stehen wir erneut auf dem "chemin des dames" in Stellung. Von jetzt ab bleibt der Turm der schönen Kathedrale von Lâon unser rückwärtiger Blickpunkt. Die Stadt Lâon ist auf einer steilaufsteigenden, kleinen Felsinsel gelegen, unten um sie herum die weiten fruchtbaren Felder und Obstgärten, wo einst das Kreidemeer der Juraperiode unserer Erde gebrandet hat. Wo wir auch in Stellung stehen, immer sehen wir als Wahrzeichen der Gegend bis zu 10 km im rückwärtigen Mittelpunkt von uns entfernt die hochragende Kirche, von wechselnden Seiten. Bis wir zur "Großen Schlacht in Frankreich", im März 1918 abmarschieren, bleiben wir auf und am "chemin des dames" eingesetzt. Auf ihm erleben wir den Tag des einjährigen Regimentsbestehens.
 
September 1917
 
Mein Divisionskommandeur verehrt mir sein Bild mit Widmung. Ich erlasse am 5. September 1917 nachstehenden Regimentsbefehl (Gefechtsstand Collogis-Höhle)
 
"Kameraden!
Am heutigen Tage ist ein Jahr verflossen, seitdem das Regiment zum ersten Male zusammentrat.
Ein Jahr freudig geleisteten, schweren Dienstes und hingebender Treue liegt hinter Euch, um das Beste für Kaiser und Reich zu vollbringen.
Seitdem das Regiment seine Feuertaufe erhielt, hat es bei jeder Gelegenheit ruhmvoll gekämpft und unverwelklichen Lorbeer sich errungen, sei es im herbst im Artois, im Winter vor Soissons oder es im Frühjahr dieses Jahres galt, den mit vielfacher Übermacht begonnenen, immer wieder erneuten Durchbruchversuch des Gegners auf den Höhen von Laffaux, Vaudesson scheitern zu lassen.
Eisern war der Wall, den Euer Siegeswillen, Eure Treue bis in den Tode errichtete, unbezwinglich Eure Batterien, keiner von Euch wankte, weil Heldenmut Euch belebte.
So wird es auch in aller Zukunft sein, dessen bin ich gewiss. Ihr werdet welsche Tücke und englische Habgier und wen es sonst von unseren Feinden nach deutschem Gut und Boden gelüstet, zusammenschlagen, auf dass unser geliebtes Vaterland frei und stolz nach einem Deutschen, ehrenvollen Frieden emporsteige.
Mit Gott für König und Vaterland, für Kaiser und Reich, das sei unser Wahlspruch auch im neuen Regiments- und Kriegsjahr."
 
Nach ruhigem Winter mit Schiess- und Gefechtsübungen im Steppengebiet beginnt am 21 März 1918 die "Große Schlacht in Frankreich".
 
März 1918
 
Zur 18. Armee gehörend, stellt sich mein Regiment im Raume zwischen St. Quentin und La Fére bereit. Meine Division ist Angriffsdivision. Letzte Instruktionen und Befehle. Wir wissen, dass uns nach der Erstarrung des Grabenkrieges endlich, endlich der kriegsentscheidende Bewegungskrieg bevorsteht. Unser Stoß soll die Nahtstelle zwischen Franzosen und Engländern treffen. Unbemerkt vom Feinde ist unsere und der Infanterie massierte Aufstellung vor sich gegangen, kaum fassbar; aber die Räder waren mit Stroh umwickelt und die Fernsprecher ausgeschaltet, damit der Feind sie nicht abhören kann. Kommandos durften nicht mehr erteilt und nur nachts marschiert werden, bis um 4 Uhr 40 Minuten der Orkan der Artillerieschlacht beginnt.
Langsam wird es Tag. Dichtester Nebel umgibt uns alle, aber die Feuerwalze mit ihren mathematisch genau für jede Batterie errechneten Flugbahnen bereitet unserer Infanterie trotz Nebels den Weg. Die Grundlagen für unser Schiessen sind sorgsamst mit den für die stürmende Infanterie vorgeschriebenen Wege und Zeiten vorher in den eingehenden Besprechungen mit den Kommandeuren in Übereinstimmung gebracht worden.
 
Der Feind erwidert unser Feuer nur schwach, die Verluste sind bei ihm vernichtend, in meinem Regiment und bei der Infanterie aber nur gering, außer in einer Batterie. Die eigene Infanterie stürmte daher unaufhaltsam vorwärts. Aber nur drei Batterien dürften sie zunächst begleiten. Die anderen Batterien von mir müssen die alten Stellungen drei Tage lang halten, damit sie unserer Infanterie im Falle eines Rückschlages Halt geben können.
 
Doch dann eilen auch sie vor. Die aufgerissene Nahtstelle zwischen Engländern und Franzosen wird zur Lücke. Die englische 5. Armee ist vernichtend geschlagen. In Paris war bereits alles, wie im September 1914 vor der Marneschlacht zur Flucht vorbereitet.
 
Der mit soviel Hoffnungen und Erfolgen begonnene Angriff kommt am 28. März 1918 aber zum Stehen. Es fehlen uns auch jetzt wieder die Reserven.
 
April 1918
 
An der Oise müssen wir daher erneut zum Stellungskampf übergehen.
 
Mai 1918
 
Doch noch einmal, am 26. Mai erhebt sich unser Frontteil zu neuem Schlage.
Während unsere Nachbardivision links von uns über die Kammhöhe des "chemin des dames" über Soissons hinaus bis zum großen Wald von Villers-Cotterets vorstürmt, rücken wir gleichzeitig mit unserer 211. Division zügig in Richtung der Marne vor.
 
Juni 1918
 
Auf den Höhen von Nampoel prallen wir mit starken französischen Kräften zusammen.
Nach Tagen schwersten, für uns erfolgreichen Ringens geht es weiter vorwärts. Copiegne -mit seinem Schicksalswald- tritt bereits als nicht mehr allzu weites Ziel des Heldenganges auf.
Und hinter ihm liegt Paris!
Aber die infanteristische Kraft vermag nicht mehr das letzte hohe, kriegsentscheidende Ziel zu erreichen.
 
Juli 1918
 
Und wieder muss meine Division zum Grabenkampf, zur Abwehr, zurückkehren. Wir stellen uns zwischen Oise und Marne in neuer Frontlinie auf. Gleiches trifft auch unsere Nachbardivisionen vor dem Wald von Villers-Cotterets.
Darauf aber kommen wir in eine vollkommene Ruhestellung, die weit zurückgezogen, bei Sinceny, an den Zwillingsbergen, gelegen ist. Sie wäre für Menschen und Pferd wohl verdient gewesen!
Doch nur 24 Stunden dürfen wir uns dieser erfreuen.
Jetzt in beträchtlicher Entfernung von uns, aus den großen Waldungen bei Vitters-Cotterets, droht Unheil.
Die Vermutung wird zur Gewissheit, dass dort zusammengeballte, übermächtige feindl. Kräfte, durch den Wald vor Sicht gedeckt, sich zum Sprung bereit gestellt haben.
Gegen Abend des 12. Juli erreicht mein Regiment in den eben bezogenen Ruhelagern der Befehl zur Alarmbereitschaft.
Ich reite sogleich mit meinem Stabe zur neuen Front vor. Die um 2 Stunden voraus gestellte Sommerzeit macht die Nacht zum Tage. Bekannte, für mich bedeutungsvolle Stationen ziehen während des eiligen Rittes wieder an mir vorüber.
La Motte, das Sommerschlösschen eines Pariser Metzgermeisters, taucht neben der Chaussee Pinon -Soissons- Paris wieder auf. Bevor ich im Winter 1916/17 in die Siegfriedstellung zurückzugehen hatte, war ich mit meinem Stabe hier einquartiert gewesen. Im Musikzimmer stand damals auf dem Kamin hinter einem noch klangreinen Steinway-Flügel die Marmorbüste der jungen, schönen Hausherrin. Jetzt hätten die französ. Granaten von allem nur noch die beiden steinernen Stufen am Eingang das Hauses stehen lassen.
Nur gelblicher Kalkstaub zeichnete die ungefähre Lage, wo es einst gestanden hatte.
 
Dann taucht wieder Coucy le chateau auf, die hochragende, über 600 Jahre alte, trutzige Burg, das französische Heidelberger Schloss genannt, an dem ich im Winter 1916/17 allwöchentlich im Auto vorbeigekommen war, um meinem Kommandierenden General über Fortgang, Auswahl der Stellungen oder Sonderwünsche zu den Arbeiten in der Siegfriedstellung Vortrag zu halten. Doch der einst weit ins Land hinaus schauende, mächtige verteidigungsfähige Turm war inzwischen von uns gesprengt worden, um feindliche Beobachtungen nicht bequemen Einblick in alle unsere Stellungen zu geben.
Und Laffaux! Seit der französischen Frühjahrsoffensive im April 1917 gegen unsere Siegfriedlinie und nach unserem späteren Gegenstoß nur noch ein geographischer Begriff! In seiner Nähe ein franz. Heldenfriedhof mit tausenden Gräbern, alle mit der Trikolore und kleinen unvergänglichen Kränzen geschmückt.
Dann geht der Ritt an Soissons vorbei und an seiner ehrwürdigen Kathedrale, die wir immer mit unseren Geschossen sorgsam so lange geschont hatten, bis wir erkannten, dass unser artilleristisches Gegenspieler, der feindliche Artilleriebeobachter, sich im Turm eingenistet hatte.
Und zuletzt passiere ich das ehemalige franz. Etappengebiet, das seit Juni 1918 deutsch gewordene Hinterland. Hier war der Krieg beim Vorstürmen unserer Nachbardivisionen so schnell über das Land geschritten, dass bis in die Gegend von Villers-Cotterets kaum etwas von Zerstörungen zu sehen ist. Wohlbestellte Äcker und reifende Getreidefelder, aber immer nur mürrische Gesichter der franz. Bauern boten sich meinen Blicken.
 
Juli 1918
 
Am frühen Morgen des 13. Juli bin ich am Ziel, bereits vom dortigen Artillerieführer erwartet. Ich sehe in ihm einen guten Bekannten und ehemaligen Regimentskameraden aus Schlesien wieder. In der mir zugewiesenen Papillon-Ferme komme ich gut unter. Sie war bisher vollständig erhalten. Zwei Stunden nach meiner Einkehr schlagen die ersten Granaten in den Hof hinein, die den Pferdeburschen meines Stabsarztes, der mit mir geritten, beim Putzen der Pferde tödlich treffen.
 
Im Verlauf noch dieses Tages haben sich die Batterien meines Regiments in der Nähe meiner Ferme versammelt. Sie bleiben in Alarmbereitschaft.
 
In der Nacht vom 17./18. Juli geht aus dem Wald von Villers-Cotterets ein Trommelfeuer von bis jetzt noch nicht gehörter Stärke auf. 2100 Geschütze deckten, wie ein späterer französ. Bericht angab, unsere Stellung vor dem breiten Walde ein. Darauf erfolgte der feindliche Angriff.
 
Unsere vordersten schwachen Kräfte vermögen nicht mehr in den seit Juni noch kaum ausgebauten Gräben ernsten Widerstand zu leisten. Überläufer hatten zwar 2 Stunden vorher den uns bevorstehenden Grossangriff gemeldet, aber zu spät für uns, um jetzt noch Verstärkung heranführen zu können.
 
Mein Regiment wartet noch immer auf seinen Einsatz, bis uns endlich am späten Nachmittag des 18. Juli der Befehl herzu erreicht. Ich eile zur Erkundung voraus und treffe zwei Generale an, die den herankommenden artilleristischen Einsatz zwar freudig begrüßen, mir aber nur sagen können, dass ihre Infanterie-Regimenter nur noch den vierten Teil ihres überhaupt schon verringert gewesenen Bestandes aufweisen. Auch sei der Verlauf der Beidseitigen Frontlinie z.Zt. nicht feststellbar, so schwanke der Kampf, einige hundert Meter von uns entfernt, noch hin und her.
Eine neue Feuerwalze könne sofort beginnen.
Das alles und in die Ungewissheit hinein, disponieren zu müssen, war ja nicht gerade erfrischend, aber auch nicht allzu sehr nach den bereits vorausgeeilten Gerüchten enttäuschend.
In der wolkenbedeckten, sehr dunklen Nacht werden die Feuerstellungen gefunden und besetzt, wenige Stunden darauf von der franz. Infanterie angegriffen, einige Geschütze erbeutet aber sämtlichst unter hohen Verlusten für den Feind wieder zurückgewonnen.
 
Es war eine tolle nacht für alle Teile meines Regiments, für jeden einzelnen von uns. Immerhin vermochte man im Stehen beim Morgengrauen etwas zu schlafen.
Ein erheiternder Moment war ein sehr großer, hünenhafter Senegalneger, den die Infanterie gefasst hatte. Er lachte dauernd in seiner viel zu kleinen Uniform, nahm seine große Feldflasche und goss sich mit weit zurückgebogenem Kopf aus ausgestreckter Armhaltung, ohne auch nur ein einziges Mal eine Schluckbewegung zu machen etwa 1 ½ Liter Kaffee in den Magen. Ein gutmütig grinsendes, zufriedenes Gesicht zeigte, dass für ihn Durst und Krieg beendet waren.
 
Juli 1918
 
Seit diesem für die gesamte Westfront verhängnisvollen Morgen gingen wir kämpfend auf der ganzen Linie zurück, ohne dem Gegner die Möglichkeit eines Durchbruches, einer Überholung oder Einkesselung zu geben. Noch hält auch die gesamte übrige Front und stemmt sich heldenhaft, immer noch an den Endsieg glaubend, gegen den immer größer werdenden feindlichen Druck.
 
Als wir Soissons erreicht haben, vermag mein Regiment aus seinen neun Batterien nur noch 2 bis 3 vollkommen kampfkräftige Batterien zusammenstellen.
 
August 1918
 
In weiterer Durchführung unseres planmäßigen Rückzuges wird am 2. August 1918 auch Soissons aufgegeben. Die Feuerstellungen die wir hier eingenommen hatten, waren zufällig dieselben, in denen wir hier während des ruhigen Winters 1916/17 gestanden hatten.
 
September 1918
 
Anfang September wird unsere 211. Division aufgelöst (wie noch weitere 10 Divisionen an der Westfront) um zur Auffüllung abgekämpfter Regimenter verwendet zu werden. Mein Regiment wird Heeresartillerie und marschiert zunächst nach einem Schiessplatz in der Etappe, um sich dort an Mannschaften, Pferden und neueren Geschützen zu ergänzen, und hält zur weiteren Ausbildung eine dreiwöchige Schiessübung ab.
Es sit ein sicheres Zeichen dafür, dass zu dieser Zeit die Oberste Heeresleitung bestimmt nicht mit einem nahen Kriegsende gerechnet hat.
 
Oktober 1918
 
Vom 19. September bis 7. Oktober wird mein Regiment weitab von der bisherigen Kampffront im oberen Elsass bereitgestellt, weil hier mit einem feindlichen Durchbruch zu rechnen ist. Da sich aber hier nichts ereignet, genießen wir in schönen Waldlagern, unweit von Mühlhausen, die uns nur selten beschieden gewesene Ruhe. Hier erfahren wir die schlechte Nachricht vom Zusammenbruch und Abfall Bulgariens. Unsere Verpflegungsempfänger bringen aus der Etappe Flugblätter bösester Art mit, die Urlaubern aus der Heimat mitgegeben oder von feindlichen oder eigenen Fliegern abgeworfen worden waren. Zum Verrat zum Überlaufen, zur Gehorsamsverweigerung, zum Streik wurde auf Blättern und Karten aufgefordert, die mit den geplanten neuen Farben der kommenden Republik "verziert" waren. Das war der "Dolchstoß" der Heimat, der uns an der Front treffen sollte, und dann in späterer Zeit abgeleugnet worden ist.
 
November 1918
 
Vom 9. Oktober bis 11. November stehen meine Batterien nach eiligem Bahntransport an der Nordfront der Argonnen.
Erstmals haben wir hier zahlenmäßig überlegene amerikanische Truppen vor uns, die im Großangriff am 1. November gegen uns eingesetzt waren. Noch einmal haben meine Batterien schwerste Kämpfe und schwerste Verluste zu ertragen.
In der Ferne sehe ich meinen Vauquois-Berg, auf dem ich vier Jahre vorher als Abteilungskommandeur 40 Schritt vom Gegner entfernt, in meinem Gefechts- und Beobachtungsstand manchen Angriff erlebt hatte. Der Feind hat den Berg niemals erobern können. Noch immer ist sein Gipfel vom Rauch der einschlagenden Granaten verhüllt, noch immer liegen über ihm die unablässig sich erneuernden weißen Wolken platzender Schrapnells.
Vauquois ist das Symbol der Unbezwinglichkeit für alle Argonnenkämpfer geblieben.
 
Da wir in guter Ordnung kämpfend weiter zurückgehen, glauben wir nach Abschluss dieser Bewegungen in eine neue, vorbereitete Stellung, die von Antwerpen bis zur Maas verläuft, geführt zu werden.
Anders war der kommende, fünfte Kriegswinter für uns Frontkämpfer nicht vorstellbar! Die Kampfmoral war innerhalb der gesamten Artillerie und der meisten Infanterie-Regimenter noch ungebrochen.
Doch noch einmal musste Deutschland erkennen, dass es wieder nur durch eigene Uneinigkeit gefällt werden konnte.
 
11. November 1918
 
Der 11. November verkündete uns mittags 12 Uhr, dass ein Waffenstillstand allen Kampf beende.
Aber nur der offene Kampf war beendet. Viel schlimmeres stieg gegen uns herauf. Das erkannten wir, die wir vom Hass und Vernichtungswillen der Gegner und der überstaatlichen Mächte wussten.
Von den Höhen der Maas, unweit des für jeden Deutschen bisher mit Stolz genannten Ortes Sedan, beginnt für uns der Abmarsch in die Heimat.
Am 16. November passiere ich Rossignol in Belgien, die Stätte, an der 1914 meine einst in Neustadt von mir geführte Batterie in so vernichtendes franz. Artilleriefeuer geraten war, dass nur fünf Mannschaften, einschl. der Offiziere nicht tot oder verwundet waren. Wie oft haben wir hiervon meine treuen Unteroffiziere berichtet!
 
Am 19. November überschreiten wir bei Echternach die deutsche Grenze, überall herzlich in der Heimat als disziplinierte Truppe empfangen und bewirtet, im Gegensatz zur verwildert und teilweise meuternd zurückflutenden Etappe.
 
Unser Marsch führt uns weiter bei klingendem Frost durch die Eifel, durchs Moseltal, durch den Hunsrück, um bei St. Goar auf der dort errichteten Kriegsbrücke den Rhein zu überschreiten.
 
Als ich am 29. November dorthin zur Erkundung meinem Regiment vorausreite, stehen plötzlich nahe der Brücke Mieze und Dorothee vor mir. Es war in diesem Augenblick für mich Ahnungslosen eine unfassbar schöne Überraschung. Nun erst war ich wirklich wieder in der Heimat. Alle schweren Gedanken angesichts des Rheins hatte unser wiedersehen hinweggenommen. Nun war ich wieder zu Haus! Auch heute noch einmal innigen Dank für alle Liebe, die unter der Soldateska während dreier Tage und Nächte ermöglicht hatte.
 
Dezember 1918
 
Unser Marsch geht weiter durch Rheinhessen, durch Giessen, Limburg, die Wetterau bis zum Vogelsgebirge, in dessen stillen tiefverschneiten Dörfern wir überall ein uns herzlich gegebenes Weihnachten verbringen.
 
Januar 1919
 
Zu beginn des neuen Jahres wird das Regiment nach Diepholz bei Bremen abtransportiert.
 
Februar 1919
 
Dort ist unsere Demobilmachung am 5. Februar 1919 durchgeführt.
Als Freunde und gute Kameraden gingen alle Teile meines Regimentes auseinander. In seinen Offiziers- und Mannschaftsvereinigungen hält es treu bis heute zusammen.
 
Mai 1919
 
Bis Mitte Mai bin ich nach Wertheim/M. beurlaubt, wo sich Heinz aufhält. Unser Hans ist hier mein treuer Begleiter. Nach seiner schweren, glücklich überstandenen Gehirngrippe war er bis zu seiner vollständigen Wiederherstellung vom Schulunterricht befreit gewesen.
Für mich ist meine militärische Tätigkeit aber erst am 31. Juli beendet, da ich den Befehl erhalten hatte, in Burg die Magdeburg das ehemalige Felda. Rgt. 40 abzuwickeln. Ich gehöre bis Januar 1920 noch dem Heere an.
 
August 1920
 
Am 1. August bin ich aber endlich mit den meinigen wieder in Wiesbaden vereint.
Gesund kehre ich zu ihnen zurück. Ein gütiges Schicksal hatte mich draußen in seinen Schutz genommen.
 
Fünf Jahre war ich von den Meinigen getrennt gewesen. Aber nicht minder schwer war für sie diese Zeit in anderer Beziehung zu tragen gewesen.
Tapfer und unverzagt und zuversichtlich hat Mieze alles hingenommen als bester Kamerad unserer Kinder.
Im Grenzland lastete der Krieg noch viel härter auf jedem als im anderen Deutschland. Bereits im Frontgebiet befindlich, in der Festung Metz bei Ausspruch der Mobilmachung, dann innerhalb weniger Stunden ausgewiesen, nach unserem ersten Vorstürmen nach Frankreich hinein aber wieder nach Metz zurück gelassen, dann wegen dauernder Fliegerangriffe und Fernbeschuss der Festung endgültig in die Notwohnungen nach Kreuznach übergesiedelt, dann den Ansprüchen der dort einrückenden, das Rheinland besetzenden Franzosen preisgeben, das waren durch den auf ihr lastenden seelischen Druck fast unerträgliche Belastungen gewesen. Dazu die Schwierigkeiten, die ein mangelhafter Schulunterricht mit sich brachte und die Ungewissheit bis zuletzt, wo die Metzer Flüchtlinge Aufnahme und Wohnung finden würden.
Das alles unverzagt und mit gesundem Optimismus zu meistern, war stilles, den Kindern vorgelebtes Heldentum gewesen!
 
Papa hatte zu Beginn seines fünften Jahrzehnts geistig und gesundheitlich auf der Höhe seines Wirkens und Schaffens gestanden.
Er hatte es wohl auch selbst empfunden und es seiner Familie gegenüber dadurch ausgedrückt, dass er zu Weihnachten vor seinem bald darauf folgendem fünfzigsten Geburtstag Mama sein von Professor Kreyer gemaltes Ölbild schenkte.
Er ist darauf ganz gut getroffen, wirkt aber auf uns alle dennoch fremd, weil auf ihm seine Frohnatur, seine so gütigen, strahlenden Augen, der Zauber seiner Persönlichkeit kaum wiedergegeben ist. Es liegt vielmehr ein Hauch von Schwermut über seinen Zügen, den wir niemals beobachtet haben. Oder hatte der Maler bereits mehr gesehen als wir? Ahnte oder wusste Papa bereits als Arzt die ersten Anzeichen heraufsteigender, lebensbedrohender Erkrankung? Hatte Papa uns liebevoll besser zu täuschen verstanden als das schärfer sehende Auge des Künstlers?
War Papa schon vor der Drucklegung seines Werkes: "Heilung der Tuberkulose durch Kreosot" aufs höchste in seiner Arbeitskraft beansprucht worden, so setzte nach dem Erscheinen dieses seines Lebenswerkes eine ungeheure Mehrbelastung seiner Kräfte ein. Die Heilung dieser Geißel der Menschheit konnte jetzt aufgrund von fünftausend an Kranken und wieder gesundeten Menschen angestellten Beobachtungen in Aussicht gestellt werden. Begeisterte Berichte von Heilungen selbst erkrankt gewesener Ärzte lagen vor. Kreosot war von Papa nach den vielen vorausgegangenen chemischen Experimenten, den Tier- und klinischen Versuchen und Beobachtungen als das specifische Heilmittel der leidenden Menschheit angegeben worden!
Die Kunde hiervon wirkte alarmierend auf die gesamte deutsche Ärzteschaft wie auch auf die Laienwelt. Bereits im ersten Jahr 1891/92 waren 3 Neuauflagen der Veröffentlichungen notwendig geworden.
Noch vermochte Papa diese Mehrbelastung mühelos zu bewältigen. In seinem Forscherdrang vermehrten sich eher seine Kräfte als zu erlahmen. Noch war er neben seinen beruflichen Pflichten das Übermaß an Arbeit durch die entfachte Bewegung gewachsen. Er war immer ebenso redegewandt wie schnell mit der Feder gewesen, wie das die vier vorher herausgegebenen Bücher und seine als Sonderabdrucke erschienenen 44 Berichte in medizinischen Fachzeitschriften ja auch beweisen. Der Schwung seiner immer vorhanden gewesenen geistigen Regsamkeit ist ja auch daraus erkennbar, dass er als Jüngling von 18 Jahren die Abiturienten-Abschiedsrede gehalten hatte, dass er als Student sich mit Erfolg an der Lösung medizinischen Preisaufgaben beteiligte, dass er als "Alter Herr" alljährlich bei den Stiftungsfesten seiner Raczek-Burschenschaft den Kommers mit seiner Rede eröffnete und ihn mit weiteren Ansprachen zu würzen wusste, und dass er in öffentlichen Reden politisch gegen Demokratie und Judentum aufgetreten ist.
 
Jetzt jedoch war der Bogen überspannt. Sorgenvoll erkannte es Mama, liebevoll ihm kleine Arbeiten abnehmend und ihn an ein Haushalten mit seinen Kräften mahnend.
Erwünschte Erholung brachte Papa eine Konsultation in dieser Zeit nach Zürich, die er mit einem Abstecher nach seinem lieben Vierwaldstädter See verband und bald darauf wiederum eine Konsultation nach russisch Polen zu einem fürstlichen Magnaten.
Die Heilungsmöglichkeiten der "Professor Sommerbrodtschen Kreosotkapseln" waren in der ganzen Welt bekannt geworden. So erhielt Papa einmal das Duplikat eines Rezeptes aus Japan von einem der deutschen Sprache mächtigen japanischen Arzt mit der Verordnung seiner Kapseln zur Kenntnisnahme mit kollegialem Gruß zugesandt. Um die Herstellung des Medikaments als Alleinberechtigte für Nordamerika bewarb sich und erhielt die Genehmigung einer chem. Fabrik in New York, und für Europa ermächtigte herzu Papa eine Berliner Apotheke. Um es gleich zu sagen, entfiel kein materieller Gewinn auf Papa oder seine Erben, da beide Firmen in jüdischen Händen lagen und Papa als Nichtkaufmann sich hat in den Verträgen betrügen lassen. Beide Firmen steckten unter einer Decke und spielten sich scheinbar gegeneinander aus. Jeder der Gauner behauptete, für beide Kontinente das alleinige Herstellungsrecht erhalten zu haben, und dadurch vom Gegenpartner geschädigt, Papa für die Verluste verantwortlich machen zu müssen
Um Entschädigungsbeträgen größten Unfanges zu entgehen, überließ Papa seinen Gewinnanteil den Manichäern.
Im Winter 1892/93 stellten sich bei Papa erste tatsächliche Erkrankungen ein. Er bezeichnete sie aber nur als kleine Störungen lediglich nervöser Art, die durch zu reichlichen Nikotingenuss hervorgerufen seien. Papa rauchte zwar stets gerne, damals aber vermehrt seine starken Import-Zigarren, sie hatten ihm bereits schonfrüher einmal eine Nikotinvergiftung verschuldet gehabt. Schon die Silberhochzeit am 14. März 1892 hatte Papa ohne die geplant gewesenen kleinen Festlichkeiten vorübergehen lassen und war mit Mama zu mir nach Berlin gekommen, wo ich gerade mein Kommando zur Artillerieschule hatte.
Aus ersten gesundheitlichen "Störungen" wurden allmählich kleine Anfälle, die sogar Bettruhe erforderlich machten. Die Sprechstunden und Collegs wurden eingeschränkt, alle Geselligkeiten aufgegeben. Im Mai 1893 musste sich Papa zu einer Kur in Begleitung von Mama in Bad Nauheim entschließen. Der Erfolg war zunächst so gut, dass er Anfang Juli mit Mama und Walter nach der Schweiz reiste. Da ihm der Aufenthalt in unserem lieben, 1600 Meter hoch gelegenen Rigi-First entraten war, so ging er nach Interlaken, wohin er nach etwa 10 Tagen auch mich und Heinz nachkommen ließ.
Der zuversichtlichen Stimmung war aber inzwischen die Sorge gefolgt. Papa fühlte sich in seinem Zustand wieder verschlechtert. Mama war eine viel zu feine Beobachterin, als dass sie sich durch den Ernst des Zustandes hätte täuschen lassen.
Ihre täglichen, unauffällig niedergeschriebenen Beobachtungen auf Wunsch des Papa in Breslau behandelnden Arztes haben es bewiesen.
Wir wohnten in Interlaken im Hotel des Alpes, am bekannten Höhenweg. Bei unserer gemeinschaftlichen Spaziergängen auf dieser mit hundertjährigen Nussbäumen bewachsenen schönen Promenade oder auf dem Wege zwischen den nahen Brienzer- und Thuner Seen, angesichts der mit ewigen Schnee bedeckten Berge des Berner Oberlandes ging Papa gern tieferen Gedanken nach. Es waren Lebenserfahrungen von ihm, die er uns zuweilen aussprach, oder Ermahnungen oder eigenste Anschauungen, mit denen er uns alle jedes Mal zu fesseln verstand.
Niemals ließ er es zu, dass bei uns Sorgen um ihn aufkamen und ausgesprochen wurden. Und dennoch waren sie unsere stummen Begleiter und suchten wir nach unauffälligen Gründen, früher als geplant, die Heimreise nach Breslau anzutreten, zumal die Befragung eines Spezialisten in Bern Papa mehr beunruhigt als genützt hatte.
Von dem, was Papa zuweilen Besinnliches zu uns gesprochen hatte, ist uns einiges im Gedächtnis haften geblieben. Mama zeichnete sich später alles auf und wir Söhne halfen ihr es, wieder uns gegenwärtig zu machen.
So sagte er einmal ganz unvermittelt zu Mama, dass man seine Kinder so hinnehmen müsse, wie sie einem geschenkt worden seien. An ihrer erbbedingten Charakteranlage könne man nur wenig ändern und nur etwaige wilde Triebe könne man zurückschneiden und stutzen, wie bei seinen Rosen im Garten.
Geiz nannte et einen Charakterfehler, verständige Sparsamkeit aber Quelle neuer Freuden.
Er warnte uns vor Oberflächlichkeit und Egoismus und zwar nicht nur in materiellen, sondern auch in ideeller Beziehung. Ungerechtigkeiten seien das Zeichen eines kleinen Geistes und Unduldsamkeit der Beweis für geistiges Spießertum.
 
Papa hielt die Seele göttlichen Ursprunges. Deshalb würde sie auch nicht mit den Menschen sterben, sondern in die Un-sterblichkeit zurückkehren.
Schiller war sein Ideal in der Jugend später wurde es Goethe und jetzt sei er mehr zu Schiller zurückgekehrt. Manchmal sagte er, könne ein einziges Wort der Gewinn eines ganzen Lebens sein.
Niemals solle man auf oberflächliche Eindrücke zu großen Wert, legen. An der Oberfläche liege zwar die Schönheit, aber in der Tiefe die oft weniger schöne Wahrheit und Wirklichkeit. Pessimismus sei die schlimmste Bremse des Erfolges. Vernünf-tiger Optimismus ist dagegen als Gnadengeschenk und ein
Schrittmacher für Erfolg, Aufstieg und Gewinn.
Musik ist die große Frösterin im Leid. Ist aber Freude im Herzen, da verleiht sie uns Schwingen, bis zur Sonne zu fliegen und gibt Mut, nach den Sternen zu greifen.
Bei Temperament ist es leicht, gut zu reden. Sehr viel schwerer aber ist es gut zuzuhören.
Von Papa ist auch der scherzhafte Ausspruch geprägt worden, dass viele Patienten nicht durch, sondern trotz der ärztlichen Behandlung wieder gesund geworden sind.
 
Am 12. August verließen wir Interlaken, kamen noch bis Frankfurt/M., stiegen im Frankfurter Hof ab, schlenderten etwas in der Stadt herum und aßen im Palmengarten zu Abend. Da Papa guter Stimmung war, waren wir es auch.
Am 13. August fuhren wir bis Leipzig. Papa hatte viel gelesen. Ziemlich ermattet stieg er mit uns im dicht am Hauptbahnhof gelegenen Hotel Sedan ab. Auf ausdrücklichen Wunsch von Papa gingen Heinz und ich in Auerbachs Keller zu Abend essen, um auf den Spuren Goethes dort gewandelt zu haben, wie Papa sagte. Als wir zeitig nach Hause kamen, fanden wir Mama und unseren lieben, doch erst 13 Jahre alten Walter verzweifelter Stimmung vor. Papa war in unserer Abwesenheit plötzlich von Schwäche und Sehstörung befallen worden. Die bereite Medizin hatte erstmalig nicht Erleichterung gebracht. Mama schlug vor, den folgenden Tag noch in Leipzig zu verbleiben, doch war es diesmal erstmalig Papa, der nach Hause zu kommen drängte.
So trafen wir am 14. August gegen 4 Uhr nachmittags wieder in Breslau ein.
Papa machte sich bald darauf eine Untersuchung auf Eiweiß und begab sich zu seinem Mitberater, Professor R.
Um 8 Uhr holten Heinz und ich Ihn, wie verabredet vom Club im Zwinger ab. Eine bereitstehende Droschke wollte er nicht benutzen, sondern bestand darauf, lieber zu Fuß in der hierzu noch benötigten Viertelstunde unterwegs zu sein, um die frischer kühle Luft genießen zu können.
 
Beim Abendessen, wohl etwas gegen ½ 9 Uhr wurde plötzlich Papa benommen verlangte die Öffnung des Fensters und ließ sich auf das Sofa führen. Unsere beiden Mädchen und der treue Diener Carl eilten nach Ärzten. Da Sonnabend Abend war, war zunächst keiner zu Hause anzutreffen gewesen. Nach einer bangen Stunde erschien endlich der uns bekannte Dr. D., ohne aber besser helfen zu können, als uns eine öftere Verabreichung der bereits gegebenen Tropfen anzuempfehlen. Dr. D. verließ uns bald wieder, da Papa es wünschte.
Papa hatte nur mit Anstrengung sich mit ihm unterhalten können. Als Papa sich ihm gegenüber über "so taube Lippen" beklagte und Dr. D. ihn zu trösten versuchte, dass hieran die Medizin die Schuld habe, da lächelte Papa ein wenig, diese Deutung mit einer Kopfbewegung verneinend. Langsam sprach er mit der Hand auf die Stirn weisend, nur das eine Wort "Central" aus.
Es war zu seinem letzten Wort geworden.
Papa schien ein wenig zu schlummern.
Plötzlich durchschüttelte ihn ein Krampf. Ein letzter fragender Blick traf mich aus seinen verklärt erscheinenden Augen, der ich ihm zufällig die kühlende Kompresse auf seiner Stirn erneuerte.
 
Unfassbar, es glauben zu sollen, dass uns Papa in diesem Augenblick für immer genommen war. Unfassbar für mich, es Mama zurufen, zu ihr eilen zu sollen, dass unser geliebter Vater tot sei. Mama war für diesen einen Augenblick ins Nebenzimmer gegangen, um zur Erfrischung für 2apa etwas Kölnisches Wasser zu holen und um ihre Tränen zu verbergen.
 
Die Teilnahm um das Hinscheiden von Papa war allenthalben ungeheuer groß.
Am Beisetzungstage erschreckte uns die unübersehbare Zahl der Trauergäste. Unsere Wohnung, in der Papa aufgebahrt lag, und selbst das Treppenhaus, konnte die, sich drängenden Men-schen nicht fassen. Unsere eigene Trauer erschien uns pro-faniert. Auf der Strasse war der Verkehr unterbunden worden, um den aufmarschierten studentischen Verbindungen, Abord-nungen und Neugierigen Platz zu geben. Mein Regiment mit einigen Offizieren sein Trompeterkorps entsandt.
 
Wir fürchteten um die Gesundheit von Mama. Sie ohne Papa, ohne seinen Rat und Hilfe, war für uns zu-nächst gar nicht vorstellbar.
 
Doch für Walter, für seine Pflege und Erziehung hatte sie stark zu bleiben, um ihm den Vater zu ersetzen. An dieser Aufgabe wollte sie sich aufrichten und ihr eigenes vergessen. Walter hatte das Erlebnis von Papas plötzlichem Tod zu tiefst erschüttert. Seiner Depression konnte Mama allein mit ihrer Liebe entgegen wirken.
 
Das zwischen ihr und Walter bestehende innige Verhältnis wurde noch tiefer. Es verklärte sich im Lauf der Jahre zu edler Seelenfreundschaft.
 
Und dennoch konnte keinem von uns älteren Brüder der Gedanke aufkommen, dass Walter uns vorgezogen würde, jedem ihrer Söhne lebte Mama in immer gleichbleibender Liebe und Güte. Alle unsere Schwächen verstand sie. Wir machten sie zu unserer Vertrauten, um ihren klugen, lebensnahen, welterfahrenen, zuweilen warnenden Rat zu hören, der immer gerecht und un-parteiisch war. Ihre Mutterliebe war unbegrenzt, unerschöpflich und gab und schenkte nur immer, niemals das Maß ab-wägend, sondern nur selbst davon beglückt, Liebe geben und Freude machen zu können.
 
Walter war ohne Schwierigkeiten durch das Gymnasium gegangen und studierte darauf in Lausanne, Heidelberg und Breslau Rechtswissenschaften. Ihm hatte anfänglich vorgeschwebt, die Dozentenlaufbahn zu ergreifen, doch ließ er sich nach seinem mit Prädikat bestandenen Assessor-Examen von Zweckmäßigkeitserwägungen leiten und entschied sich für das Bankfach. Während der Zeit, in der er Personalassessor beim Oberlandesgerichtspräsidenten in Breslau war, hörte er noch Kunstgeschichte und lernte englisch und zwecks Ausbau unserer Familiengeschichte auch die czechische Sprache.
 
Gesundheitlich hatte er damals wenig zu klagen. Die mit Mama unternommenen Sommerreisen an die Nordsee, die Dolomiten, das Engadin dienten nur der allgemeinen Kräftigung und Entspannung beider. Die mit seinem nahen Freunde Hans v. Staff ausgeführten Hochtouren mit Eispickel und Beil bewiesen Kraft und Gesundheit.
 
Nach informatorischer Beschäftigung bei einem Breslauer Bankhaus bewarb er sich um eine leitende Stellung bei der Frankfurter Hypovereinsbank wurde auch dorthin berufen und am 19. August 1913 als Mitglied des Direktoriums übernommen.
 
Mama, die ihr Breslauer Haus bereits im Jahre 1901 verkauft hatte, und darauf mit Walter nach der Hohenzollerstrasse 48, II. übergesiedelt war, zog ihm nach seiner Ernennung zum Direktor im März 1914 nach Frankfurt/M. nach. Dort kaufte sie sich 1916 das Grundstück Wiesenau 57, da sie in diesem Hause gemietet gewesene Wohnung ihren und Walters Wünschen entsprach.
 
Walter fühlte sich in den Frankfurter Verhältnissen von Anfang an ungemein wohl. Seine Fähigkeiten und Anlagen konnten sich in seinen neuen Wirkungsbereich bestens entfalten. Außer Reformen im eigenen Institut schuf er in den schweren Nachkriegsjahren die Gemeinschaft der Südwestdeutschen Hypothekenbanken und hatte an der Gründung der Festwertbank in Stuttgart maßgeblichen Anteil.
 
Seine Qualitäten wurden bereitwilligst auch in weiteren Fachkreisen anerkannt. Man holte ihn in den Vorstand des Centralverbandes des Deutschen Bank- und Bankiergewerbes, Sitz Berlin.
Auf Bitten der Frankfurter Zeitung beleuchtete er in deren Handelsteil öfters die nachkriegszeitlichen schwierigen Verhältnisse in Geld- und Hypothekenfragen.
Die Generalversammlungen seines Institutes leitete er, dabei ihm "immer neue Wege weisend". Das gute Überstehen der Krisenzeit seitens der Hypothekenbank ist ausschließlich sein allgemein anerkanntes Werk gewesen.
 
Die Frankfurter Museumsgesellschaft wählte ihn wegen seiner "hohen Geistes- und Herzensbildung" in ihren Vorstand. Hier sei seiner umfangreichen Bibliothek Erwähnung getan. Als Bücherfreund besaß er Frühausgaben unserer Klassiker und andere Seltenheitswerte. Alle Gebiete des Wissens und der Kunst waren in seinen Büchern vertreten, wenngleich kunstgeschichtliche Werke bevorzugt waren. Sein Interesse und Verständnis für die Baukunst des Barocks und der Gotik war bekannt. Nach einer einmal in Bamberg, der Stadt des Barocks, stattgefundenen Versammlung von Direktoren ließen sich diese von ihm dort den schönsten profanen und kirchlichen Bauten führen. Ihnen dabei auch die damalige Zeit nahebringend, machte er ihnen ***** seine Führung zu einem "unvergesslichen Erlebnis".
 
Stets war er in seinem Auftreten schlicht, einfach und vornehm, niemals mehr scheinen wollend, als er war. Von wahrem Herzensadel hielt er sich zurück und ließ sich lieber finden. Seine Hilfsbereitschaft allen Menschen gegenüber war ihm Herzenssache.
 
Da er unverheiratet geblieben ist, lässt er Mama an allen seinen Interessen teilnehmen, die ihm willig auf vielen Gebieten folgt und sich weiterbilden lässt.
 
Schon als Schüler hatte er mit Geschick und Geschmack zu photographieren begonnen und später durch Technik und Auswahl Spitzenleistungen landschaftlicher Stimmungsbilder herausgebracht.
 
Aber trotz aller Bevorzugungen, die ihm das Leben brachte, fühlte er sich von etwa seinem dreissigsten Jahr an nicht frei und unbehindert.
Eine gesundheitliche Indisposition, wie er seinen Zustand bezeichnete, veranlasst ihn, über die mutmasslische Ursache derselben zu grübeln. Erst scheint es ihm, als sei sein Schaffensdrang, die vielen übernommenen Pflichten und die hierfür aufgewendete Arbeitsleistung zu viel für die ihm mitgegebene Widerstandskraft gewesen.
 
Dann glaubt er als Grund für seine "Spannungen", wie er sich ausdrückte, die Synthese zwischen deutschem und romanischem Blut gefunden zu haben, noch immer unwissend, dass eine Aderverkalkung begonnen hatte, die in so jungen Lebensaltern eine sehr große Seltenheit ist.
Doch er wird nicht verbittert, glaubt an den ihm vom Arzte zugesicherten Ausgleich und an den späteren Vollbesitz wieder von Gesundheit und Wohlbefinden. Er bleibt beherrscht und ist mit den Fröhlichen fröhlich. Er ist doch noch jung! Er will teilhaben am Leben.
Er ist ein gern gesehener Gast, der glänzend und geistreich zu plaudern und zu unterhalten weiß.
 
Immerhin kauft er sich, wo er sie nur findet, die Serienbilder des Holbeinschen Totentanzes und ähnliche Bilder. Der schnell verrinnende Sand der Totenuhr, die der Sensenmann hochhält, ist ihm Symbol der Kürze der ihm nur noch verbleibenden Lebenszeit.
Die beiden gotischen Piétas, die er sich erwirbt, zeigen ihm den Schmerz, den auch er seiner Mutter durch seinen frühzeitigen Tod bereiten wird.
 
Wie schwer hat seine gesundheitliche Unzulänglichkeit das ihm Ungewisse seines Zustandes bereits seine Seele berührt!
 
Doch noch straffen sich seine körperlichen Kräfte und gehorchen seinem Willen. Noch kann er zu seinen geliebten Bergen hinaufsteigen, hoffend dort oben uneingeschränktes wohlbefinden wieder zu gewinnen. Noch unternimmt er im Sommer 1922 mit seinem Freund Hans v. Staff mit Eispickel und Seil einen Aufstieg aus dem Rhonetal zu seinen geliebten Schneebergen.
 
Nach schwerem Abstieg aber erkrankt er. Der Arzt im kleinen Alpendorf warnt ihn, jemals wieder sich ähnliches zuzumuten.
"Glück und Unglück, Wandrer, trag in Ruh, Beides geht vorüber, - und auch Du.
Ließt er auf dem kleinen Bergfriedhof, und findet mit diesem "memento mori" sich selbst getroffen.
Im Januar 1924 hat er gegen seine fortschreitende Krankheit im Sanatorium Hornegg, bei Geh. Rat Römheld sich noch einmal aufgelehnt. Nach vorübergehender, scheinbarer Besserung geht aber sein Leben langsam seinem Ausklang entgegen. Er war sich seines tragischen Geschickes voll bewusst. Heldenhaft ist er ihm entgegen gegangen.
Als er bereits vom Tode gezeichnet ist, am Tage des 75. Geburtstages der Mutter, am 7. Mai 1914, da fühlt er sich, aus Liebe und Dankbarkeit zu ihr, für diesen einen Tag noch einmal gesund. Eine wundervolle Euphorie überkommt ihn.
 
"Jetzt weiß ich, dass ich noch einmal gesund werden und leben kann, sagt er zu ihr, als sie früh an sein Bett getreten war, ihr es immer wieder bestätigend, selig in dem Gedanken, dass der Kelch an ihm noch einmal vorübergehen wird. Er bereitete mit diesen Hoffnungen Mama das schönste Geburtstagsgeschenk.
 
Am 26. Mai 1924 ist Walter wenige Tage vor Beginn seines 44. Lebensjahres seinen Leiden erlegen. Zu seinem alten, zu spät erkannten Leiden war noch eine Erkrankung der Nieren hinzugekommen, wie einst bei unserem Vater.
 
Walters hoher Verdienst wird es immer bleiben, dass er es gewesen ist, der erstmals die Ereignisse und Erlebnisse Krystians kurz vor seiner und seiner Familie Einwanderung 1732 in die Mark Brandenburg, aus der Sphäre der Tradition in die Gewissheit dokumentarischer Belege geführt hat, und ebenso auch das Wirken unseres Ahnherrn um 1400 als Bürgermeister von Prag, Ratsherr von Litochleby und als Führer der Bewegung um den Reformator Hus. In seinem an mich 1915 in den Gefechtsstand von Vauquois gerichteten Brief, der in anderer Stelle bereits wiedergegeben ist, teilt er mir voller Freude und Genugtuung dieses Resultat seiner Forschungen erstmals mit.
 
Seine Familienforschungen hat er mit folgenden Worten abgeschlossen:
"Wir sind nur Ufer des Blutes unserer Voreltern, das durch uns zu den Kommenden rollt. Das ist unser Zweck, und es ist das, was uns verpflichtet. Aber was ich selbst für mich gewesen bin, das gräbt man mit mir wieder ein."
 
Es war Tragik und Unheil, dass Walter uns so früh genommen wurde.
 
Er hätte die mir damals überaus beschränkt gewordenen Mittel ergänzen, bzw. sie mir zur besseren Ermöglichung des später für Hans in Aussicht genommenen juristischen Studiums bereit halten können.
 
Dem kategorischen Muss zu bescheidenen Studienjahren und zu einer in ruhigen Bahnen verlaufenden Ausbildung unseres Hans stand aber ein damals durch Inflation und Revolution bedingter materieller Zeitengeist ebenso hindernd im Wege wie der Drang, den Hans durch kaufmännische Veranlagung in sich verspürte, Witz und Verstand in freier Betätigung zu probieren, um zu schnelleren Erfolgen zu gelangen. Vom trockenen akademischen Studium wollte er damals nichts wissen. Ihn schreckten Mephistos Worte in Faust:
"Da wird der Geist Euch wohl dressiert,
in spanische Stiefel eingeschnürt,
dass er bedächtiglich fortan
Hinschleiche die Gedankenbahn."
 
Seine schnelle auffassungs- und Kombinationsgabe sowie große Intelligenz, verbunden mit Herzensgüte und menschlichem Fühlen hätten ihn in gleicher Weise zum Juristen prädestiniert wie unseren Helmut.
 
Nun ist er aber auch bestens zum Ziel gekommen, hat die kaufmännische Tradition wieder aufgenommen und hat heute das stolze Bewusstsein, der eigene Schmied seines Glückes geworden zu sein.
 
Es ist das sein zweiter Sieg.
Seinen ersten Sieg trug er als elfjähriger Junge am Tage der Erstürmung des Forts Douomont vor Verdun, im März 1916, über sich davon. Wir beide waren zur feierlichen Verkündung der Einnahme der Feste zum Rathaus inmitten von Metz gegangen. Als wir gerade über einen großen, freien Platz zurückkamen, flogen ihn feindliche Flieger an, die bereits Bomben geworfen hatten. Da ich mich in Uniform befand, konnte ich mich nach damaligem Brauch nicht in Deckung begeben, bat aber Hans in dieser kritischen Situation inständig, es selbst eiligst zu tun. Er verweigerte es mir jedoch mit den Worten, dass er sich nicht von mir trennen werde.
 
Für seine Gedankenblätter habe ich ihm Verse geschrieben, die mit den Worten endeten:
"Am Donnerstag im großen Krieg,
da hattest Du deinen ersten Sieg."
 
Unsere Mutter hat in ihrem Leben das Glück, das ihr beschieden war, stets wissend hingenommen und es an die Ihrigen weitergegeben. Das Leid aber, das ihr auferlegt wurde hat sie groß getragen und es still im Herzen bewahrt.
 
Mit siebzehn Jahren, als Braut, verliert sie ihre gütige Mutter.
Auf der Höhe seines Schaffens wird ihr der über alles geliebte Mann entrissen.
Dann nimmt ihr wieder grausames Schicksal ihren jüngsten Sohn Walter, den zu erziehen, für dessen Gesundheit zu sorgen, den für Enttäuschungen zu entschädigen ihr Lebensziel während ihrer 31 jährigen Witwenschaft gewesen ist.
 
In den furchtbaren Zeit des Zusammenbruchs Deutschlands brachte sie nachfolgende Inflation auch für sie Verluste und Einschränkungen aller Art. Sie nimmt allen Kummer auf sich, und zeigt, wie man mit wirklichem Seelenadel verliert und verzichtet.
 
Und zuletzt trifft sie eine schwere körperliche Behinderung. Fünfviertel Jahre bleibt sie gelähmt ans Bett gefesselt, sie, die niemals vorher krank gewesen ist. Wer kann es ermessen und sagen, was es bedeutet hat, all die langen Monate und Nächte, den einsamen, leidvollen Gedanken nachzugehen?
Ihr reiches Innenleben gibt ihr Stärke und Trost. Sie ist beglückt durch die täglichen Liebesdienste unserer Dorothee und durch die Besuche von Heinz und mir an ihr Krankenlager.
 
Was sie uns allen immer in ihrem ganzen Leben hat sein wollen, das offenbarte sich noch einmal bei der Passion von Walter.
Als ihm zuletzt nach schwerer Operation nur noch kurze Frist gegeben war, da hat sie während der letzten drei Tage und während der Nächte vor seinem Sterben als 75 jährige Mutter an seinem Schmerzenslager auf hartem Stuhl gesessen und gewacht, nur auf ihn geschaut, um an seinen Augen den letzten Wunsch ablesen zu können, um ihm noch einmal zu helfen und ihm Trost und Liebe zu geben.
 
Wundervollste Betätigung der Liebe!
 
Der Tod hat sie wenige Wochen vor ihrem achtzigsten Lebensjahre ganz still und sanft von uns genommen.
Ihre edlen Züge waren zuletzt schon verklärt. Sie sah sich mit den Ihrigen vereint.
 
Wenn aber jemandem in späteren Generationen von uns eine sehr große Güte zu eigen sein wird, dann ist es ein Teil von ihr, von der Sonne, die uns zuerst geleuchtet hat.
 
Meine Führung ist beendet.
 
Ich habe sie niedergeschrieben, um Euch Freude zu bereiten und um Euch für eine hierzu bereite Stunde an diejenigen zu erinnern, die vor Euch und mit Euch gewesen sind und auch - an mich.
 
Wiesbaden, 28. Dezember 1942
am Tage meines 75. Geburtstages.